„Zudem brauchen wir bessere Strukturen im öffentlichen Teil des Innovationssystems. Strukturen, die Wettbewerb ermöglichen und erzwingen. Das bedeutet mehr Autonomie der Hochschulen und Studiengebühren verbunden mit einem funktionierenden Stipendiensystem. [...] Nur im Ausbau von Wissensvorsprüngen liegt unsere ökonomische Zukunft.“
„Wenn Wissenschaftler, eingeschüchtert durch selbstsüchtige Machthaber, sich damit begnügen, Wissen um des Wissens willen aufzuhäufen, kann die Wissenschaft zum Krüppel gemacht werden, und eure neuen Maschinen mögen nur neue Drangsale bedeuten. Ihr mögt mit der Zeit alles entdecken, was es zu entdecken gibt, und euer Fortschritt wird doch nur ein Fortschreiten von der Menschheit weg sein.“
Du bist nicht Jürgen R. Thumanns ‚wir‘. So wie es fast die gesamte Menschheit nicht ist. Sein ‚wir‘ sind diejenigen, die unermeßlichen Reichtum dadurch scheffeln, daß sie andere für sich arbeiten lassen. Damit das so bleibt und die Profite weiter steigen, werden immer mehr Menschen durch Arbeitslosigkeit und Lohnerosion ins Elend gestürzt und bisweilen auch Kriege geführt. Da aber gleichzeitig die Produktivität und der gesellschaftlich vorhandene materielle Reichtum immer weiter steigen, dem Großteil der Menschheit aber offensichtlich nicht zugute kommen, muß zunehmend Aufwand getrieben werden, die Zustimmung zu diesen Verhältnissen herzustellen. Hierfür sind neben Massenverblödungsmedien und dem Abfeiern von Heimat („Du bist Deutschland“) und Familie auch Studiengebühren ein Mittel. Entgegen dieser Verschleierung sollte klar sein: Die ökonomische Zukunft, die Herr Thumann und Co. sich wünschen, ist zum Nachteil der übrigen Menschheit.
Die Hochschulen haben eine besondere Bedeutung: Sie sind (potentiell) Orte des Lernens und der wissenschaftlichen Verständigung. Hier ist es in besonderem Maße möglich die menschlichen Lebensbedingungen zu analysieren, die eigene Lage und die gesellschaftlichen Verhältnisse kritisch zu hinterfragen und Alternativen für die allgemeine Emanzipation der Menschheit zu erarbeiten. Gleichzeitig wird der technische Fortschritt, der auch in den Hochschulen entwickelt wird, von den Unternehmen abgefordert, um in verschärfter Konkurrenz noch mehr Profite zu machen. Die Wissenschaftsinstitutionen stehen also vor den gegensätzlichen Entwicklungsmöglichkeiten: Wissenschaft für den ‚Standort‘ oder für umfassende humane Nützlichkeit.
Damit die Mitglieder der Unis trotz wissenschaftlicher Qualifikation nicht Letzteres realisieren und das eigene Interesse als solches erkennen, muß einiges an Aufwand betrieben werden: Entdemokratisierung, Hierarchisierung, Formalisierung, Verblödung und Konkurrenz. Und als das zentrale Mittel – Studiengebühren: Mit ihnen soll umfassend kulturell durchgesetzt werden, daß Bildung als Ware, als eine Form der Investition verstanden wird, die der Einzelne tätigt, um sich als ‚Humankapital‘ zu veredeln, und so dem späteren Arbeitgeber feilbieten zu können. Derart profitiert vermeintlich auch der Student von den Studiengebühren. Vor dem Hintergrund struktureller sozialer Ungleichheit und der berechtigten Angst vor Arbeitslosigkeit und sozialem Abstieg soll erreicht werden, daß kritische Studieninhalte über Bord geworfen werden und nur noch das studiert wird, womit man sich am besten an die ‚Anforderungen‘ des Arbeitsmarktes anpassen kann. Den wahren Profit machen dabei andere.
Bertrand Russel schrieb einst an Albert Einstein, daß im Zeitalter der Atombombe Wissenschaft und Krieg unvereinbar seien. Dies bedeutet nicht nur, Wissenschaft, die dem Krieg dient ist keine. Sondern es heißt im Umkehrschluß auch: Wenn Wissenschaft ernsthaft als solche betrieben wird, muß sie sich in Opposition zu Krieg begeben. Und dieses Konzept sollte erweitert werden: Wenn Wissenschaft ernsthaft als solche betrieben wird, dann muß sie sich die Überwindung der aktuellen Menschheitsprobleme zur Aufgabe machen.
Man muß sich jedoch klar sein: Heutzutage Wissenschaft zu betreiben bedeutet, sich in Gegnerschaft zu den Profiteuren dieser Verhältnisse zu begeben. Dies mag angesichts der von ihnen eingesetzten Maßnahmen einschüchtern. Wer jedoch die Einschüchterung durchschaut, wird erkennen, auf welch marodem Fundament sie stehen und daß sie solidarisch überwunden werden können. Statt also die Studiengebühren zu akzeptieren und sich ihnen zu beugen, gilt es, sie in ihrer anti-emanzipatorischen Funktion zu durchschauen und ihnen gemeinsam zu widerstehen. Der Verwaltungsgebührenboykott ist dafür ein guter Anfang.