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Spaßkultur

„Die Bildung der 5 Sinne ist eine Arbeit der ganzen bisherigen Weltgeschichte. Der unter dem rohen praktischen Bedürfnis befangene Sinn hat auch nur einen bornierten Sinn. [...] Der sorgenvolle, bedürftige Mensch hat keinen Sinn für das schönste Schauspiel; der Mineralienkrämer sieht nur den merkantilischen Wert, aber nicht die Schönheit und eigentümliche Natur des Minerals; er hat keinen mineralogischen Sinn; also die Vergegenständlichung des menschlichen Wesens, sowohl in theoretischer als praktischer Hinsicht, gehört dazu, sowohl um die Sinne des Menschen menschlich zu machen als um für den ganzen Reichtum des menschlichen und natürlichen Wesens entsprechenden menschlichen Sinn zu schaffen.“

Karl Marx, „Ökonomisch-philosophische Manuskripte“, 1844, MEW 40, S.542. html

Gürtel enger schnallen, länger arbeiten, weniger Lohn, weg mit dem Sozialklimbim und mehr „Eigenanteil“ bei Krankenversorgung, Rente, Bildung und Wissenschaft – das sind die Gebote der Stunde. Das Leben sei nun mal kein Zuckerschlecken.
Wer Spaß hat, gilt als verdächtig, oder muß es sich durch Massenentlassung und private Rekordgewinne auf der Basis anderer Leute Arbeit redlich verdient haben (wobei das profithysterische Sektkorkengeknalle frei von jedem echten Genuß ist).
Für das Studium an der Universität soll das künftig heißen: Ellenbogen raus, zack, zack durchs BA/MA-Studium, inklusive stete Leistungskontrolle mit Credit-Points und Modularisierung, und eben Studiengebühren die zur Eile und Bravheit gemahnen. Rein ins Seminar, raus aus dem Seminar, Referatsgruppe kurzhalten, Mittagessen reinschlingen, Seminartext überfliegen, zur nächsten Veranstaltung hetzen, zu spät beim Job, in der Bibliothek darben ...

Konkurrenz, Isolation und das Hinterherhecheln hinter dem fremdgesetzten Zweck der Profitmehrung einiger weniger sind die wissenschaftsfeindlichen Konsequenzen dieser Politik und Gift für jede Art genußvollen und gemeinschaftlichen Erkenntnisgewinns. Das liegt eigentlich auf der Hand und kann von allen als negativ erkannt werden.
Eine andere Alltagskultur auch an der Hochschule ist die dringend anzustrebende Alternative. Die Aufmerksamkeit für die Mitmenschen, der Austausch über Ärgernisse, Neugier für andere Möglichkeiten, Muße für die Diskussion politischer Tagesereignisse, schlendern, stehenbleiben, unterhalten, denken, lachen, lesen, schreiben, Sinne schärfen – das sind zu realisierende Elemente eines lebendigen Campus.
Die Studiengebühren zu bekämpfen ist notwendiger Bestandteil dieser freudigen Aussicht. Nicht nur, weil damit ein wesentliches Instrument der Dekultivierung zurückgewiesen wird, sondern auch, weil die Beteiligung an den Aktivitäten selbst ein entscheidender Schritt raus aus dem Hamsterrad ist und in der kritischen und solidarischen Reflexion der Horizont der eigenen Möglichkeiten gemeinsamer gesellschaftlicher Veränderung geweitet wird.
So bedeutet die Beteiligung am Boykott der Verwaltungsgebühren: die Entscheidung für das Nein zum Elend des gang und gäbe, die Einsicht, daß man nicht alleine ist, die Möglichkeit der Diskussion mit Verwandten und Freunden über das Ärgernis der Gebühren, das solidarische Handeln gegen Verwaltungswillkür und Alltagsdrangsale, die Überschreitung der Vereinzelung und die Freude an der allgemeinen Nützlichkeit des eigenen Tuns.

„Schlage die Trommel und fürchte dich nicht,
Und küsse die Marketenderin!
Das ist die ganze Wissenschaft,
Das ist der Bücher tiefster Sinn.

Trommle die Leute aus dem Schlaf,
Trommle Reveille mit Jugendkraft,
Marschiere trommelnd immer voran,
Das ist die ganze Wissenschaft.“

Heinrich Heine, Doktrin, Paris, 20. Juli 1844. html

Auch Hochschule darf Spaß machen. Der Boykott der Verwaltungsgebühren gehört dazu.

http://www.fsrk.de/artikel_81.html [Stand 15. März 2006]


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