Liebe KommilitonInnen,
„Ich habe nichts gegen Klassenjustiz; mir gefällt nur die Klasse nicht, die sie macht.“
Das Bundesverfassungsgericht hat am 26.01.2005 die Aufhebung des bundesweiten, grundsätzlichen Studiengebührenverbots für das Erststudium durch das Hochschulrahmengesetz beschlossen und damit dem politischen Druck von Medienkonzernen und Vertretern der Großunternehmen nachgegeben, die seit Jahren die Wiedereinführung von Studiengebühren forcieren.
Uns Studierenden sollte das Anlaß sein, durch verstärkte gesellschaftliche Opposition unsererseits Druck dafür zu entwickeln, die tatsächliche Einführung der Gebühren abzuwenden und sinnvolle Hochschulreformen als Bestandteil einer politischen Umkehr zu humanistischer Gesellschaftsentwicklung zu ermöglichen.
Diese Broschüre soll zur gemeinsamen Qualifizierung für die kommenden Auseinandersetzungen und einem lebendigen Protestsemester beitragen.
Viel Lesefreude wünschen Euch die FSRK-ReferentInnen
Angst oder Entwicklungsfreude?
Die freie Wirtschaft
Ein Ende der Bescheidenheit:
Ein Modell ist ein Modell ist ein Modell
‚Sag mir wo du stehst‘
Zur Erinnerung
Studiengebühren – Die falschen Lehren aus PISA
Offener Brief an den Präsidenten der Universität Hamburg
„Gib also, werde ich dem jungen Freund der Wahrheit und Schönheit zur Antwort geben, der von mir wissen will, wie er dem edeln Trieb in seiner Brust, bei allem Widerstande des Jahrhunderts, Genüge zu thun habe, gib der Welt, auf die du wirkst, die Richtung zum Guten, so wird der ruhige Rhythmus der Zeit die Entwicklung bringen. Diese Richtung hast du ihr gegeben, wenn du, lehrend, ihre Gedanken zum Nothwendigen und Ewigen erhebst, wenn du, handelnd oder bildend, das Nothwendige und Ewige in einen Gegenstand ihrer Triebe verwandelst.“
Aufrecht, gesellschaftskritisch, qualifiziert, heiter und solidarisch entfaltet sich der Mensch: Die bewußte Verfügung über die eigenen Lebensbedingungen ist ein Bedürfnis aller. Dem dient das Streben nach Erkenntnis zur Verbesserung der menschlichen Lebenswelt und die geschichtsbewußte Kultivierung der eigenen Persönlichkeit. Kooperativ wird so die Humanisierung der sozialen Verhältnisse erreicht. Das ist – vom alltags-dominanten Koofmich verschüttet und verkehrt – der Motor gesellschaftlichen Fortschritts.
Studiengebührenbefürworter postulieren dagegen die neoliberale Ur-Lüge, einzig Konkurrenz befeuere den gesellschaftlichen Fortschritt; dies sei menschlich und natürlich. Zum Beispiel: „Studiengebühren sind das beste Mittel für mehr Gerechtigkeit bei der Finanzierung der Hochschulen und sorgen gleichzeitig für eine höhere Qualität des Studiums. Der zahlende Student wird zum Kunden, der einen Gegenwert für seine Gebühren erwartet. Im Wettbewerb um ihre Kunden müssen die Hochschulen ihre Angebote entsprechend anpassen.“ Das verlautbart die „Initiative Neue Soziale Marktwirtschaft“, ein Lobbyverein der deutschen Metallindustrie und stimmt damit das Hohelied auf das gnadenlose Jeder gegen Jeden der entfesselten Marktwirtschaft an. Alle Kapitalverbände stimmen ein (siehe Text „Die freie Wirtschaft“). Aus ihrer Sicht griffen auch die unionsregierten Bundesländer viel zu kurz, als sie Ende März 2005 beschlossen, überall „höchstens“ 500 Euro Studiengebühren zu erheben. Zu viel auf die Wähler geschielt: Von den Spitzen von BDA und BDI[1] tönte es, diese Obergrenze beschneide „unnötig Spielräume für mehr Wettbewerb und Profilbildung der Hochschulen“. Die Messer werden gewetzt!
Zu dem totalitären Marktradikalismus der Neoliberalen gehört, daß die unregulierte Konkurrenz die einzelnen Hochschulen und alle ihre Mitglieder mit sich reißen soll. Das Ziel ist die Steigerung der Unternehmensgewinne durch verschärfte Ausbeutung der durch „Bildung“ ökonomistisch normierten „Ressource“ Mensch. Die Methode hierfür heißt „Angst“.
Das erste Studiengebührengebot lautet folglich: Du sollst Dich fürchten! Kann ich mir ein Studium leisten? Wie lange? Kriege ich einen Job? Kann ich meine Darlehen abzahlen? Der soziale Druck der Gebühren soll Studierende zwingen, nur zu studieren, was vermeintlich oder tatsächlich auf dem Arbeitsmarkt gut ankommt.
Habe Angst vor sozialer Unsicherheit!
Und es wird denunziert. Erstens: Nur wer der Wirtschaft dient, dient der Gesellschaft. Die Unterordnung unter die Verwertungsabsicht der privaten Ökonomie wird zum Interesse der Allgemeinheit umdefiniert. Wer sich dem entzieht oder gar widersetzt, wer meint, daß die Ökonomie dem Menschen zu dienen habe und deshalb länger, neugieriger, kritischer studiert, wird von Rechts als Schmarotzer am Gemeinwohl gebrandmarkt. Der krachende Widerspruch von wachsender Armut und Arbeitslosigkeit und überbordenden Gewinnen der Großunternehmen wird dafür beredt verschwiegen.
Denunziation zwei: Das Studium gelte als – zu bezahlende – Investition ins eigene „Humankapital“. Behauptet wird damit, der Einzelne zöge Profit (!) aus seiner Arbeit. Bildung sei damit ein Einzelinteresse und nicht eine gesellschaftliche Notwendigkeit, ohne die alles (Produktion, Kultur, Dienstleistungen ...) zum Erliegen käme.
Nun, Profit machen andere. Hochschulabsolventen können gleich allen Beschäftigten nur hoffen, daß sie einen Lohn erhalten, der zum Leben reicht. Dennoch: Habe Angst vor gesellschaftlicher Ausgrenzung! Und: Habe Angst vor Deinen Kommilitonen! Ist nicht Deine „Leistung“ nur besonders im Vergleich zu ihrer? Bist Du neidisch? Wirst Du ausgelacht?
Die erpreßte Orientierung an fremden Interessen bei der Wahl und Gestaltung des Studiums entfernt von den Kommilitonen, die einem unter der Dominanz der Ökonomie vor allem als Konkurrenten um künftige Stellen und Arbeitsplätze oder einfach gleichgültig gegenübertreten, nicht jedoch anregend und anzuregen sind für die solidarische Erarbeitung eines gemeinsamen besseren Verständnisses von der Welt.
Die Angst in der Konkurrenz und nicht die gemeinsame Entwicklungsfreude für allgemeinen Fortschritt wird so zum Beweggrund des Lernens gemacht. Bildung gelte dann als geldwerte Ware. Das fremde, ökonomische Interesse soll „Kunde Student“ eigentätig mit der bornierten „Souveränität“ des Zahlenden drohend gegenüber der Universität und ihren Mitarbeitern vertreten. Offene, demokratische, wissenschaftlich begründete Verständigung in Lehre und Forschung wichen vollständig einer dummdreisten Tresenmentalität. Vernunft als handlungsleitendes Prinzip wird so entwertet und zerstört.
Diese Einschüchterungsstrategie zur kapitalinteressierten Durchsetzung von Studiengebühren richtet sich gegen die Verwirklichung und Aufhebung der hochschulpolitischen antifaschistischen Lehren von 1945 (Freiheit von Lehre und Forschung gegenüber staatlichen oder ökonomischen Verwertungsabsichten) und der emanzipatorischen Bildungsreformen der 1970er Jahre: Als Teil breit erkämpften gesellschaftlichen Fortschritts (Arbeitszeitverkürzungen, Lohnerhöhungen, Friedenspolitik, betriebliche Mitbestimmung uvm.) ermöglichte die demokratische Massenuniversität das massenhafte gebührenfreie Studium, soziale Absicherung für alle im Erststudium (BAföG), kostenlose wissenschaftliche Weiterbildung, demokratische Mitbestimmung, lernendes Forschen und forschendes Lernen. Durch diese demokratische Offenheit förderte sie den kritischen Gesellschaftsbezug der Wissenschaften, fächerübergreifende, freie Orientierung der Studierenden und brachte viel politisches, kulturelles und soziales Engagement hervor.
Diese Bildungsreformen wurden mit der Perspektive einer gesellschaftlichen Entwicklung, in der alle Menschen mündig, sozial gleich, demokratisch engagiert und solidarisch ihre Lebensbedingungen vernünftig gestalten, erkämpft.
Angesichts des krisenhaften, zunehmend offen brutalen Verfalls der kapitalistischen Gesellschaft (Krieg, Armut, Massenarbeitslosigkeit, Entsolidarisierung, Dequalifizierung) muß ihre humanistische Überschreitung durch praktische Aufklärung in neuer Qualität offensiv vertreten und angestrebt werden. Bildung für alle, problemkritische Wissenschaften, uneingeschränkte Kooperation und demokratische Verfügung über die Zielsetzung von Bildung und Wissenschaft sind entscheidend für die soziale Qualität der Wissenschaften und ihrer Institutionen. Die Politik der Einschüchterung ist Ausdruck der hysterischen Geilheit derjenigen, die für Profit und Macht diese positive Aussicht bekämpfen und die isolierende und zerstörerische Konkurrenz verteidigen und verschärfen wollen.
Wer dagegen heute aus dem neoliberalen Alltag ängstlich-selbstsüchtigen Halligallis oder apathischer Zurückgezogenheit heraustritt, wer Markt und Konkurrenz, Machtspiel und Anpassung mit anderen verlachen lernt, kann die Befreiung der Menschheit als eigene Befreiung begreifen, kann kämpfen und sich darüber respektvoll-freundschaftlich mit anderen verbinden. Wer das tut, knüpft sein Leben bewußt in die Entwicklungsgeschichte der Menschheit, weil er praktisch für ein höheres, weil humaneres Kulturniveau streitet. So bekommt die Welt die „Richtung zum Guten“ und ein jeder historische Bedeutung. „Sapere aude!“[2] Damit und dafür muß der Kampf gegen Studiengebühren geführt werden.
„Ist es nicht ungerecht, daß ein Kfz-Mechaniker einem Rechtsanwalt das Studium bezahlt? Und das, obwohl der Rechtsanwalt später im Berufsleben von seiner Ausbildung finanziell profitiert? Genau wie Ärzte, Ingenieure, Manager und, und, und? Ihr Einkommensvorteil wird von allen Steuerzahlern, mit und ohne Studium, finanziert. Diese Ungerechtigkeit kann durch Studiengebühren und sozial ausgewogene Bildungskredite beseitigt werden“
„Was nichts kostet, ist auch nichts wert. Nur wenn für das Studium Geld verlangt wird, erwarten die Studenten auch Qualität. Durch solch einen Marktmechanismus können Sie unser Hochschulsystem einschneidend verbessern.“
Kurz vor Verkündung des Bundesverfassungsgerichtsurteils lancierte die Initiative Neue Soziale Marktwirtschaft (INSM) ihre Kampagne zur Einforderung von Studiengebühren. Zu sehen war ein Jura-Student, der auf dem Rücken eines Kfz-Mechanikers an einem Schreibtisch sitzt. Kolportiert wird damit das weitverbreitete Bild, das Studium der ‚Elite‘ würde von Putzfrau und Krankenschwester finanziert. Diese Ungerechtigkeit könne nun durch die Einführung von Studiengebühren aufgehoben werden. In dem ungerechtesten Bildungssystems Europas, in dem nur ca. 8% der Kinder aus Arbeiterfamilien ein Studium aufnehmen, sollen zukünftig – ginge es nach der INSM – Mittel- und Oberschicht für ihre finanziellen Vorteile zahlen und Arbeiterfamilien weiterhin benachteiligt sein. Aber wer sind diejenigen, die sich hier als Retter der sozialen Gerechtigkeit aufspielen?
Die INSM ist ein Zusammenschluß aller deutschen Arbeitgeberverbände der Metall- und Elektroindustrie. Durch aufwendige Werbekampagnen, Kooperation mit dem arbeitgebernahen Institut der deutschen Wirtschaft Köln und eine Reihe von ‚Botschaftern‘ aus Wirtschaft, Politik und Kultur z.B. Unternehmensberater Roland Berger, Gunnar Uldall oder Lothar Späth soll die Alternativlosigkeit der Sozialstaatszerschlagung vermittelt werden. Ausgestattet ist das ganze mit einem Etat von 10 Mio. Euro. Die INSM definiert sich selbst als „überparteiliche Reformbewegung“, die gegen den „Abwärtsstrudel aus hohen Arbeitskosten, unfinanzierbaren Sozialsystemen und dauerhafter Wachstumsschwäche“ eintritt. Auslöser war 1999 eine Umfrage des Allensbach- Instituts im Auftrag der Arbeitgeber, die zeigte, daß zwei Drittel der Deutschen den von den Unternehmen geforderten Rückbau des Sozialstaats „skeptisch“ sahen oder sogar „bedrohlich“ fanden. Darauf gründeten die Metall-Verbände das Umerziehungsprojekt. Eine Studie der Hans- Böckler-Stiftung zur INSM geht davon aus, daß die Aktivitäten der INSM in den letzten Jahren massiv dazu beigetragen haben, Einstellungen in der Bevölkerung zu verändern und Themen wie Rückbau des Wohlfahrtstaates, Arbeitszeiten, verstärkte Eigenverantwortung, staatliche Ausgaben und Aufgabenbeschränkung in die Diskussion zu bringen[1]. Die INSM, die in der o.g. Kampagne so tut, als sei ihr die soziale Gerechtigkeit ein Anliegen, versucht lohnabhängig Beschäftigte gegen Studierende auszuspielen. Dabei soll das eigentliche Interesse – Sozialstaatsabbau in allen Bereichen bei wachsenden Profiten – verschleiert werden.
Dies wird auch deutlich, wenn man sich die weiteren langjährigen Befürworter von Studiengebühren ansieht: Das Centrum für Hochschulentwicklung (CHE), ein neoliberaler ‚think tank‘ der Bertelsmann Stiftung unter Einbeziehung der Hochschulrektorenkonferenz, welches seit langem ein aggressiver Einforderer von Gebühren ist und bereits 1998 durch manipulative Umfragen den Eindruck zu erwecken versuchte, die Mehrheit der Studierenden sei für Studiengebühren[2]. Der Bundesverband der Deutschen Industrie, der bereits 1990 die Einführung von Bildungsgutscheinen forderte, damit der Student zum Kunden würde und eine stärkere Arbeitsmarktorientierung in den Hochschulen Einzug erhielte[3]. Ebenso wie der Deutsche Industrie- und Handelskammertag forderte die Hamburger Handelskammer 1999 Studiengebühren als zentralen Hebel zum Umbau der Hochschulen vom Humboldtschen zum Marktmodell[4]. Hier reiht sich auch die Unternehmensberatung McKinsey[5] ein, die 2002 die „Dohnanyi- Kommission“ leitete und an zentraler Stelle Vorschläge zur Entdemokratisierung und Zerschlagung der Hamburger Hochschulen erarbeitete, die Dräger als Vorlage für seine Politik dienten.
Was auch immer vordergründig an Argumenten für die Notwendigkeit von Studiengebühren diskutiert wird – die Unterfinanzierung der Hochschulen, die Ungerechtigkeit des gebührenfreien Studiums, etc. – den Wirtschaftsvertretern geht es um etwas anderes: die radikale Umstrukturierung des deutschen Hochschulsystems und Ausrichtung an Marktmechanismen. (siehe Text „Angst oder Entwicklungsfreude“) Diese ‚Reformen‘ betreffen allerdings nicht nur die Hochschulen, sondern stehen in einem größeren Kontext…
„Ihr sollt die verfluchten Tarife abbauen.
Ihr sollt auf euern Direktor vertrauen.
Ihr sollt die Schlichtungsausschüsse verlassen.
Ihr sollt alles Weitere dem Chef überlassen.
Kein Betriebsrat quatsche uns mehr herein,
wir wollen freie Wirtschaftler sein!
Fort, die Gruppen – sei unser Panier!
Na, ihr nicht. Aber wir.
Ihr braucht keine Heime für eure Lungen,
keine Renten und keine Versicherungen,
Ihr solltet euch allesamt was schämen,
von dem armen Staat noch Geld zu nehmen!
Ihr sollt nicht mehr zusammenstehn
– wollt ihr wohl auseinandergehn!
Keine Kartelle in unserm Revier!
Ihr nicht. Aber wir.
Wir bilden bis in die weiteste Ferne
Trusts, Kartelle, Verbände, Konzerne.
Wir stehen neben den Hochofenflammen
in Interessengemeinschaften fest zusammen.
Wir diktieren die Preise und die Verträge
– kein Schutzgesetz sei uns im Wege.
Gut organisiert sitzen wir hier...
Ihr nicht. Aber wir.“
Tarifabbau, Privatisierung des Gesundheitswesens (Praxisgebühr, Verkauf von Krankenhäusern), Rentenkürzungen und Arbeitslosigkeit auf dem Niveau der späten Weimarer Republik. Armut auf der einen Seite und Reichtum auf der anderen wachsen stetig, die gesellschaftlichen Widersprüche spitzen sich immer mehr zu. Die ‚freie Marktwirtschaft‘ steckt in der Krise. Als Lösung dieser Probleme schlägt nun eine ‚große Koalition‘ – ausgehend von den Arbeitgeberverbänden bis zu Teilen von SPD und Gewerkschaften – eine weitere Lohndrückung, längere Arbeitszeiten, Ausbau des Niedriglohnsektors (bis zum Arbeitszwang) und ‚Eigenverantwortung‘ statt Sozialstaat vor. Der Markt soll noch freier werden, man könnte auch sagen: der Kapitalismus soll weniger reguliert sein. Daß dies zu mehr Wohlstand für alle führt, ist allerdings ein Ammenmärchen, das man schon zu Tucholskys Zeiten nicht glauben mußte. Der von der Deutschen Bank gescheffelte Rekordgewinn von 2,5 Mrd. Euro (nach Steuerabgaben) veranlaßte diese nicht dazu, neue Arbeitsplätzen zu schaffen, sondern den Abbau von 6400 Stellen zu verkünden. Trotz der Tatsache, daß die deutsche Wirtschaft Exportweltmeister ist, fordern Großunternehmen, die Senkung der Unternehmenssteuer, um die Wirtschaft zu entlasten. Wie gut muß es nach dieser Logik den Unternehmen gehen, damit Arbeitsplätze geschaffen und Arbeitsbedingungen verbessert werden können? Die Antwort darauf gibt der Unternehmenssprecher von Wincor Nixdorf. Das Unternehmen plant die Wiedereinführung der 40-Stunden-Woche ohne Lohnausgleich und versucht dabei die IG Metall von den Verhandlungen fernzuhalten. Kommentar ihres Sprechers: „Wir machen das bewußt in einer Phase, in der es uns gutgeht.“ (DPA, 18.11.2004)[6]
So steigen die privaten Vermögen einiger weniger, während die öffentlichen Haushalte schrumpfen bzw. Kapitalgesellschaften und Großverdiener massive Steuererleichterungen erhalten oder gar keine Steuern zahlen[7]. Es geht also um die Durchsetzung von Interessen: entweder die Profitinteressen des Kapitals oder das Interesse der Mehrheit der Menschen, eine soziale und demokratische Gesellschaftsentwicklung zu realisieren.
Die Lösung der gesellschaftlichen Krise kann nicht die Gleichheit in der Ungleichheit sein, d.h. wenn Kindergartenplätze Gebühren kosten, sollen gefälligst auch die Studierenden bezahlen oder wenn das Kind eines Kfz-Mechanikers kaum Aussichten hat, ein Studium zu beginnen, solle die soziale Ungleichheit durch Studiengebühren auf ewig festgeschrieben werden. In dieser Logik werden unterschiedliche Gruppen früher oder später lohnabhängig Beschäftigter mit dem Hinweis auf vermeintliche Privilegien gegeneinander ausgespielt, während sich das Kapital die Hände reibt. Teile und herrsche!
Dem entgegen ist ein politischer Kurswechsel nötig und möglich. Die wirtschaftliche Produktivität ist so hoch, daß Arbeitszeitverkürzungen bei vollem Lohnausgleich möglich sind. (Irrsinn dagegen bei 5,2 Mio. Arbeitslosen Arbeitszeit und Renteneintrittsalter zu erhöhen) Der gesellschaftliche erarbeitete Reichtum muß für die Perspektive einer Gesellschaft genutzt werden, die den Menschen in den Mittelpunkt stellt, dazu gehören: gebührenfreie Bildung von Kindergarten bis Hochschule, Kultur für alle, gebührenfreie Gesundheitsversorgung und sinnvolle Arbeit für alle.
Die Befürwortung von Reformen oder Gegenreformen sind politische Entscheidungen. Reformen, wie z.B. in den 70er Jahren, lassen sich nur erreichen, wenn es dafür gesellschaftliche Bewegung gibt. Studiengebühren zu verhindern ist Bestandteil einer grundsätzlichen Richtungsänderung. Dafür müssen die Studierenden gemeinsam mit Gewerkschaften, Schülern und sozialen Initiativen kämpfen, so daß wir sagen können: „Gut organisiert stehen wir hier!“ …
„Die Tätigkeit der Hochschullehrer und Studenten in der wissenschaftlichen Hochschule ist dann als ein zwar vielfach gegliederter, aber einheitlicher Arbeitsprozeß zu verstehen, an dem Dozenten, Assistenten und Studenten in unterschiedlichen Funktionen beteiligt sind. Dieser Gesamtprozeß ist auf zwei Ergebnisse hin orientiert: Die Erarbeitung von wissenschaftlichen Erkenntnissen und die Formung und Entwicklung der geistigen Kräfte der daran beteiligten Studenten und Wissenschaftler“
Die Gedankenführung der Herren Gebührenbefürworter ist häufig schlicht und wenig ergreifend: Wissenschaft ist wichtigste moderne Ressource für Standort – Wettbewerb macht Wissenschaft und damit Standort besser – Studiengebühren sind gut für Wettbewerb – her mit den Gebühren![1]
So weit, so schlecht. Ist die neoliberale Logik nicht weiter die Mühe des Nachvollzugs wert, so ist doch die erste Prämisse – gerade gerückt – durchaus interessant: Wissenschaftliche Erkenntnisse sind auf dem heutigen Entwicklungsniveau entscheidend für Fortschritt in der Produktion und damit für gesellschaftlichen Fortschritt überhaupt. Die Frage ist eben nur, was wird aus dem Erkenntnisfortschritt gemacht? Profitmehrung für die wenigsten oder Verbesserung der Lebensbedingungen aller.
Eindeutig feststehen sollte somit jedoch vor allem dieses, daß die Erarbeitung von Wissen gesellschaftlich produktive Arbeit ist. Als Fragende, als Sammelnde und Neuaufbereitende von bereits Bekanntem, durch Neufassung und kritische Reflektion sowie durch Verbreitung von Erkenntnissen sind die Studierenden an dieser Arbeit unmittelbar beteiligt und ihrerseits wiederum anregend für die Lehrenden. „Ebenso wie der Professor nicht nur Lehrer ist, so ist in der Hochschule der Student nicht nur Schüler. Beide sind vielmehr dem Selbstverständnis der Hochschule nach als ‚Kommilitonen‘, als gemeinsam Fragende und Suchende am wissenschaftlichen Erkenntnisprozeß beteiligt.“ (a. a. O.)
Studiengebühren bedeuten also nichts anderes, als daß die Studierenden auch noch dafür zahlen sollen, an der Erarbeitung des gesellschaftlichen Reichtums beteiligt zu sein, den sich vor allem jene privat aneignen, die zu seiner Produktion gar nichts beitragen.
Diese Erkenntnis sollte Anlaß dafür geben, nun endlich die Bescheidenheit im Kampf gegen die Gebühren abzulegen und auf eine Forderung zurückzugreifen, die der SDS[2] bereits 1961 aufgestellt hat und die an Aktualität eher gewonnen denn verloren hat: Ein bedarfsdeckendes Studienhonorar für alle Studierenden.
Im Folgenden dokumentieren wir das Studienhonorarkonzept des SDS aus seiner programmatischen Hochschuldenkschrift von 1961:
Im Gegensatz zu den Bestrebungen, die Studenten bewußt in Abhängigkeit von wohlwollenden Geldgebern und Fürsorgeinstanzen zu halten, sind alle Maßnahmen zu fördern, die den tatsächlichen gesellschaftlichen Funktionen und dem Charakter des Studiums gerecht werden und die soziale Stellung des Studenten der Bedeutung seiner Tätigkeit anpassen, das heißt aber: eine Emanzipation des Studenten zum freien intellektuellen Arbeiter und die volle Herstellung der akademischen Freiheit des Studiums anstreben.
Das Studium ist ein Ausschnitt aus dem gesamten Arbeitsprozeß der Hochschule, dessen Ergebnisse – wissenschaftliche Erkenntnisse und wissenschaftlich ausgebildete intellektuelle Arbeitskraft – Grundvoraussetzungen für die Aufrechterhaltung und dynamische Ausweitung des gesamtgesellschaftlichen Produktionsprozesses sind.
Die Arbeitsergebnisse der Hochschule, an deren Erarbeitung die Studenten direkt und auf mehr vermittelte Weise beteiligt sind, stellen somit ein »geistiges Kapital« dar, das sich in einem ständigen Prozeß in ökonomische Werte umsetzt.
Daher fordert der SDS die Anerkennung der Tätigkeit des Studenten als gesellschaftlich notwendige und wertvolle Arbeitsleistung durch eine kostendeckende »Arbeitsentschädigung« für alle Studenten (ein sog. Studienhonorar). Die Höhe des Betrages sollte so bemessen sein, daß damit die Lebenshaltungskosten, die Kosten für Lernmittel und kulturelle Bedürfnisse gedeckt werden. Durch besondere Pauschalen und Zulagen für die unterschiedlichen Mietkosten, besondere Lernmittel etc. muß die Summe den unterschiedlichen Durchschnittskosten des Studiums in den einzelnen Hochschulorten und Studienfächern angepaßt werden.
Indirekte Förderungsmaßnahmen (verbilligtes Essen, Wohnen, Theaterkarten etc.) und Leistungen auf Grund besonderer Anträge sollen dagegen möglichst eingeschränkt werden.
Die Entlohnung der im Studium geleisteten Arbeit ist aus den folgenden Gründen gerechtfertigt:
Die Zahlung der Arbeitsentschädigung auch an Studenten aus Elternhäusern mit hohem Einkommen ist nicht nur aufgrund des formalen Gleichheitsgrundsatzes gerechtfertigt (gleiche Leistungen an alle, die gleichwertige Arbeit leisten), sondern, um auch diesen Studenten die Ausbildungsfreiheit und freie Wahl und Gestaltung des Studienweges zu gewährleisten, die auch in ihrem Falle durch die Weigerung von Eltern, das (oder ein bestimmtes) Studium zu finanzieren, eingeschränkt werden kann.“
Die für die Argumentation relevante „Akademische Freiheit“ wird dabei vom SDS positiv bestimmt:
„Akademische Freiheit umfaßt für den Studenten vor allem das Recht der freien Wahl des Studienortes, des Studienfaches, des akademischen Lehrers und der einzelnen Lehrveranstaltungen – als Ausfluß seiner Freiheit zu kritischer Haltung gegenüber allen Forschungsergebnissen und Lehrmeinungen der Fakultäten und akademischen Lehrer. Strebt der Student diese kritische Urteilsfähigkeit und geistige Selbstständigkeit nicht an, so wird seine akademische Freiheit sinnlos, denn sie findet ihre Rechtfertigung und konkrete Sinngebung in der engen Bindung des Studenten an den wissenschaftlichen Erkenntnisprozeß. Die akademische Freiheit ist nicht nur negative Freiheit von äußeren Zwangsgesetzen, sondern sie ist eindeutig durch das Ziel des Studiums und den Zweck der Hochschule positiv bestimmt, als Freiheit zum sinnvollen wissenschaftlichen Arbeiten.“
Die so verstandene Akademische Freiheit ist somit die Antwort auf die bereits einleitend aufgeworfene Frage: „Wem nützt die Wissenschaft?“
„Ob sie es will oder nicht – die Universität nimmt mit ihrer Arbeit Einfluß auf die gesellschaftliche Entwicklung und auf die sozialen und politischen Machtverhältnisse. […]
Die Autonomie der Universität muß inhaltlich neu begründet werden als Freiheit von der Manipulierung durch gesellschaftliche Partialinteressen. […]
Gewinnt die Universität durch Selbstreflexion die Distanz von den gesellschaftlichen Partialinteressen zurück, so erlangt jener historische Bildungsanspruch neues Gewicht, der sich auf die Aufklärung menschlicher Lebensverhältnisse richtet.
Denn wie sie nicht darauf verzichten kann, ihre Forschungsergebnisse an der gesellschaftlichen Praxis zu überprüfen, so muß sie ihr Engagement an die Humanität auch an die durch sie ausgebildeten wissenschaftlichen Fachkräfte vermitteln.
Dieses Bildungsziel ist kein der Wissenschaft fremdes, es ist vielmehr die historische Voraussetzung und Erbschaft von Wissenschaft überhaupt:
KRITISCHE RATIONALITÄT IM DIENSTE DES MENSCHEN zu sein.“
FAZ: „Aber Ihr Programm ist staatlich finanziert. Jetzt entsteht ein privates Angebot. Das sollte Vorrang haben und Raum bekommen, sich zu entwickeln.“
Reich (KfW): „Der KfW-Studienkredit funktioniert und startet völlig ohne Bürgschaften oder Zuschüsse des Bundes. Auch der Zins wird sich am Kapitalmarkt entwickeln und ist nicht subventioniert. Damit wird kein privates Angebot beeinträchtigt. Im Gegenteil, der KfW-Studienkredit unterstützt die Entwicklung vielfältiger weiterer Angebote, die ja alle seit unserer Initiative angekündigt werden: ob aus der Wirtschaft, dem Stiftungswesen oder von anderen Banken. Nicht umsonst haben die großen Wirtschaftsverbände unser Engagement so begrüßt.“
Als Stimmungsmache für die Einführung von Studiengebühren dient nicht nur die demagogische Hetze gegen uns Studierende als „privilegierte Schmarotzer“ sondern auch die von Gebührenbefürwortern gebetsmühlenartig wiederholte Behauptung, Studiengebühren könnten sozial verträglich ausgestaltet werden. Offenbar ist die Erkenntnis, daß wir Studierende keine sonderlich wohlbetuchte Bevölkerungsgruppe sind (ca. 80% der Studierenden der Universität Hamburg müssen für den eigenen Lebensunterhalt arbeiten), weit verbreitet. Aus diesem Grunde entwickeln die Befürworter allgemeiner Studiengebühren fleißig Modelle, mit denen man so tun kann, als versetze man uns in die Lage, Gebühren zu bezahlen. Zwar sind theoretisch auch Stipendien als finanzielle Unterstützung sozial benachteiligter Studierender im Gespräch, allerdings werden diese deutlich weniger vehement als Möglichkeit vertreten, da ein Stipendienwesen maximal ausgewählte Studierende fördern könnte, für eine umfassende Förderung jedoch niemals ausreichen würde.
Das zentrale Modell darlehensfinanzierter Studiengebühren ist das sogenannte Studienkreditmodell der Kreditanstalt für den Wiederaufbau (KfW), ein staatliches Kreditinstitut. Schon kurz nach dem Bundesverfassungsgerichtsurteil, das das bundesgesetzliche Verbot allgemeiner Studiengebühren mit dem Hinweis auf die Länderhoheit aufhob, schlug Hans W. Reich (seines Zeichens KfW-Chef) ein Modell vor, nach dem alle Studierenden eine elternunabhängige Bezuschussung (sowohl für die Gebühren als auch zusätzlich zur Bestreitung der Lebenshaltungskosten) auf Kreditbasis erhalten könnten. Dieses Geld muß dann später zurückgezahlt werden – vorausgesetzt natürlich man verdient ausreichend. Die Zinsen von 5,1% sollen dazu dienen, die zu erwartenden Rückzahlungsausfälle (z.B. durch Arbeitslosigkeit) zu kompensieren. Prompt haben auch etliche private Kreditinstitute Interesse bekundet, ein eigenes Darlehensangebot auf den Markt zu werfen, wenn sich der Staat bereit erklärt, für die Ausfälle zu bürgen[1]. (Hier pochen die vor dem Verfassungsgericht siegreichen Länder übrigens nicht auf ihre Hoheit in Bildungsangelegenheiten.) Letzteres würde in der Konsequenz bedeuten, daß der Steuerzahler dafür herangezogen wird, daß privatwirtschaftliche Banken abgesichert durch den Staat ordentlich Profit machen können. Hier wird deutlich, daß der Vorstoß der KfW in erster Linie als Türöffner für Privatbanken zu sehen ist.
Doch auch beim reinen KfW-Modell sieht es nicht viel besser aus. Das Kapital der KfW kommt vom Staat und damit von den Steuerzahlern. Da die Hauptlast der Steuereinnahmen beim Mittelstand liegt, würde dieser durch die Einführung eines solchen Modells massiv zusätzlich belastet werden (von den ALG II-Empfängern ist nichts mehr zu holen, also wird die nächst niedrige Schicht zur Kasse gebeten).
Auch Unipräsident Jürgen Lüthje schlägt in eine ähnliche Kerbe, da er das Geld, von dem die Studiengebühren bezahlt werden sollen, bei denen holen will, die sowieso schon zu wenig haben. Denn er fordert, daß Familienunterstützung wie z.B. das Kindergeld oder die steuerlichen Vergünstigungen nicht mehr an die Eltern fließen möge, sondern direkt an die Studierenden zur Finanzierung der Studiengebühren.
Es ist also weder untertrieben noch Polemik, zu behaupten, die Einführung von Studiengebühren bedeutete eine massive Umverteilung von unten nach oben. Die Bezieher niedriger und mittlerer Einkommen sollen aufkommen für die Investition in die Wissenschaftsinstitutionen als Standortfaktoren. Die sozialdemagogische Hetze gegen den „Schmarotzer Studenten“ dient also in Wirklichkeit der Verschleierung der wahren Absichten der Gebührenbefürworter: größere Profite auf Kosten aller anderen.
Während von der Befürworterseite immer wieder auf Länder verwiesen wird, in denen vermeintlich erfolgreich ein funktionierendes Gebührenmodell eingeführt worden ist bzw. schon länger existiert, werden andere tatsächlich funktionierende Gegenbeispiele natürlich gerne verschwiegen: In den skandinavischen Ländern z.B. gibt es keine Studiengebühren, statt dessen existieren aber elternunabhängige Studierendenförderungen auf Darlehensbasis – zumeist zinslos bis zu einem gewissen Höchstsatz, der bei Bedarf durch niedrigverzinste Darlehen noch aufgestockt werden kann.[2]
Bildung und Wissenschaft bleiben gesellschaftliche Aufgaben. Als solche müssen sie auch solidarisch finanziert werden. Hierzu bedarf es aber eines Steuersystems, das das Geld dort eintreibt, wo es tatsächlich vorhanden ist, nämlich bei großen Vermögen und v.a. bei den Konzernen, die sich bislang erfolgreich und von der Politik mehr als geduldet vor ihrer Steuerverantwortung drücken konnten. Dies wäre ein erster Schritt zu einer Gesellschaft, in der wissenschaftliche Erkenntnisse und Bildung nicht mehr Profiten einzelner dienen, sondern Wissenschaft zum Nutzen aller betrieben wird, und Bildung der höheren Einsicht in die eigenen Lebensbedingungen dient, mit dem Ziel, diese zu verbessern.
Dazu ist allerdings notwendig, nicht alles zu glauben, was einem die Vordenker einer neoliberalen Gesellschaftsordnung erzählen. Geld ist genug da, es muß nur sinnvoll verteilt werden!
Studiengebühren helfen, die Warenförmigkeit von Bildung zu verstärken. Dies erkannte bereits in den 50er Jahren der Ökonom Milton Friedmann, Vordenker der monetaristischen Schule des Neoliberalismus. Friedmann postulierte die Ineffizienz staatlicher Bildungseinrichtungen und forderte ein Bildungssystem bei dem die Bildungseinrichtungen und ihre Subjekte auf einem ‚freien Markt‘ miteinander konkurrieren sollten. Zur Durchsetzung dieses Konzeptes schien ihm ein Gutschein-System geeignet, welches er für das Schulwesen vorschlug. Lernende aus finanziell schlechter gestellten Schichten erhalten ein bestimmtes Kontingent an Bildungsgutscheinen, um deren Minimalversorgung zu sichern. Diese Gutscheine können dann bei privaten oder öffentlichen Bildungsträgern eingelöst werden. Wobei es Privatschulen freilich zusteht, auch höhere Gebühren zu verlangen und die Gutscheine als Teilzahlungen anzunehmen. Parallelen zu gegenwärtig in der BRD diskutierten Studiengebührenmodellen sind offensichtlich – der verfolgte Zweck ist derselbe.
Erstmalig durchgeführt wurde dieses Modell in Chile in den frühen 80er Jahren. Ort und Zeit dürften dabei kein Zufall gewesen sein:
Am 11.9.1973 fand in Chile unter Augusto Pinochet ein Militärputsch statt, der die gewählte sozialistische Regierung der Unidad Popular unter Salvador Allende stürzte. Diese hatte ein Programm zur Verstaatlichung wichtiger Schlüsselindustrien aufgelegt. Privatunternehmen und Banken wurden enteignet und eine weitreichende Landreform in Angriff genommen. Das allgemeine Lohnniveau wurde erhöht, die Kosten für Miete und allgemeine Bedarfsmittel eingefroren. Die Arbeitslosigkeit sank unter Allendes Amtszeit von 8,8% bei seinem Amtsantritt 1970 auf 3,7% 1973 im Jahr des Putsches. Ein umfangreiches Bildungs- und Alphabetisierungsprogramm stärkte die Bevölkerung in der bewußten Wahrnehmung der eigenen Interessen.
Diese wirtschaftspolitischen Maßnahmen führten jedoch zu erheblichem Mißmut auf Seiten der Großkonzerne, die mit einem Boykott und dem Rückzug ihres Kapitals aus Chile durch einen „Streik“ der Transportunternehmer eine Krise produzierten. Verschärft wurde die Krise zusätzlich durch einen Wirtschaftsembargo der USA. Diese Lage wurde schließlich durch Militär, Kapital und reaktionäre Kreise des Mittelstands genutzt, um mit Unterstützung der CIA erfolgreich gegen die sozialistisch ausgerichtete Regierung zu putschen.
Was folgte, war eine Militärdiktatur, die bis 1989 andauerte. Gewerkschaften wurden verboten, Anhänger der Unidad Popular, andere Oppositionelle oder auch Personen, die nur im Verdacht standen dies zu sein, wurden zu Tausenden verhaftet, verschleppt, gefoltert und ermordet. Über 30.000 Chilenen wurden unter Pinochet Opfer systematischer Folterungen. Die Hochschulen wurden von den Militärs okkupiert und brutal gleichgeschaltet (sozialwissenschaftliche Fächer wurden z. B. ganz abgeschafft).
Durch Ausschalten einer Opposition war es möglich, Chile zu einem neoliberalen Versuchs- und ‚Muster‘-land umzubauen. Die Konzepte dazu lieferten die „Chicago-Boys“, eine Gruppe von Friedmann-Schülern, die als wirtschaftspolitische Berater Pinochets eingesetzt wurden. Die Verstaatlichungen wurden rückgängig gemacht und etliche weitere Maßnahmen zur Liberalisierung der Wirtschaft getroffen. Ausländisches Kapital kehrte umgehend ins Land zurück, das wirtschaftliche Wachstum lag in den folgenden Dekaden bei drei Prozent. Was von neoliberaler Seite als wirtschaftlicher Erfolg gewertet wurde, bedeutete jedoch für die Mehrheit der Menschen sinkende Löhne und mehr als die Verdopplung des Bevölkerungsanteils unter der Armutsgrenze von 20% 1973 auf 44% 1990. Als Charakteristikum für neoliberale Politik wurde die (Re)-Privatisierung jedoch nicht auf den klassischen Bereich der Produktion begrenzt. Auch der Reproduktionsbereich sollte nun als profitables Terrain erschlossen werden, was in erster Linie das Gesundheitswesen und eben den Bildungssektor betraf.
Das Bildungsgutschein-System hatte dabei nicht nur die Funktion der einfachen Kommerzialisierung, sondern wirkte über diese auch hegemoniebildend auf Inhalt und Funktion der Bildung. Sie erhielt nun den Charakter einer individuell zu erwerbenden Ware. Die aufklärerische Perspektive der einstigen Bildungsoffensive sollte so aus dem Lernprozeß eigentätig eliminiert werden, ohne daß weiterhin die Militärjunta unmittelbare Überwachungsarbeit zu leisten hatte.
Das weltweit erstmalig in Chile eingeführte Gutschein-System für Bildungseinrichtungen war somit eine der Liberalisierungsmaßnahmen, maßgeschneidert für den Bildungsmarkt.
Während Friedmann vollmundig in seinem Plädoyer für Bildungsgutscheine eine Verdopplung der Effizienz von Bildungseinrichtungen versprach, blieben positive Effekte dieser Maßnahme naturgemäß aus. Ein Großteil der Schüler wechselte wie vorgesehen auf private Bildungseinrichtungen; insgesamt sanken schulische Leistungen und Bildungsstandards. Dabei nahm insbesondere die Schere im Bildungsniveau zwischen Arm und Reich deutlich zu.
So sahen sich auch die Regierungen nach Pinochet gezwungen, wieder insbesondere das Bildungswesen in ärmeren Regionen zu bezuschussen, um wenigstens einen Minimal-Standard zu sichern.
Die neoliberale ‚Perspektive‘ ist also schon in den 80er-Jahren gescheitert. Sie ist im Interesse weniger und mußte deshalb in Chile mit Waffengewalt durchgesetzt werden. Chile zeigt dabei jedoch noch etwas: Im gesellschaftspolitischen Ziel sind sich die Neoliberalen mit der extremen Rechten einig. Es geht um die Durchsetzung des Konkurrenz- und Marktprinzips um jeden Preis. Nur die dauernde Repressionsmaschine eines diktatorischen Staates ist für neoliberale auf Dauer zu ineffizient, besser ist da schon die „freiwillige“ Akzeptanz des angeblich natürlichen Marktprinzips. In jedem Fall ist diese Diktatur des Marktes gerichtet gegen die notwendige Alternative einer planvollen, vernunftgeleiteten und demokratischen Entwicklung.
„Zum Ersten lässt es sich meiner Auffassung nach der Öffentlichkeit gegenüber nicht begründen, dass Studierenden grundsätzlich eine Eigenbeteiligung nicht zuzumuten ist. Für Mitglieder sozial benachteiligter Gruppen sollten Sonderregeln die Finanzierung des Studiums sicherstellen. Auf das Gros der Studierenden trifft die »soziale Indikation« nicht zu, da es aus der gehobenen Mittelschicht stammt.“
Profundes Halbwissen wird in der Gebührendebatte immer wieder gerne angeführt, gerade wenn es um die soziale Selektivität geht.
Zur Richtigstellung: Studieren kostet Geld und zwar die Studierenden. Essen, Wohnen, Gesundheitsversorgung, kulturelles Leben – all das will ebenso bezahlt sein wie die Arbeitsmittel: Bücher, Papier, Stifte, Computer, etc.
Die 17. Sozialerhebung des deutschen Studentenwerks bestätigt es erneut: Nur sehr wenige Studierende haben keine Geldsorgen. Die meisten sind nicht nur auf Unterstützung durch ihre Eltern angewiesen, sondern müssen nebenbei in erheblichem Umfang arbeiten (in Hamburg zwischen 71 und 84%). Öffentliche Ausbildungsförderung spielt bei der Studienfinanzierung eine untergeordnete Rolle.
Wer nicht zufällig über reiche Eltern verfügt, hätte also massive Schwierigkeiten, das Geld für Studiengebühren aufzubringen. Für viele Studierende wäre die Einführung von Gebühren das Ende ihres Studiums, für noch viel mehr Menschen ein weiterer Grund, nicht zu studieren.
Aus der Graphik wird deutlich, daß sehr viele und immer mehr Studierende aus höheren sozialen Schichten kommen. Ein Zusammenhang, der seit der Einführung der Langzeitgebühren in Hamburg im Bundesvergleich überproportional wirksam wird. Für Kinder aus niedrigeren Schichten wird es offenbar immer unwahrscheinlicher, zu studieren. Durch allgemeine Studiengebühren würde der Zusammenhang zwischen Bildungsniveau, Berufsstatus und wirtschaftlicher Lage der Eltern und den Bildungsmöglichkeiten ihrer Kinder eine noch viel dramatischere Qualität erreichen.
Das Argument, Studiengebühren seien gerecht, weil sie dem Umstand Rechnung trügen, daß ohnehin die Studierenden vorrangig aus sozial gehobenem Umfeld stammen, ist jedoch nicht nur deshalb albern, weil sie den problematisierten Zusammenhang verstärken, statt ihn zu beheben. Die Konfiguration der sozialen Herkunftsgruppen selbst ist auch höchst irreführend. Hier lohnt sich ein Blick auf die Definition:
„»niedrig«: un-, angelernte Arbeiter, Facharbeiter, unselbständige Handwerker, ausführende Angestellte, Beamte im einfachen und mittleren Dienst; jeweils ohne Hochschulabschluss
»mittel«: kleine Selbständige, qualifizierte Angestellte/ Meister, Beamte im gehobenen Dienst, jeweils ohne Hochschulabschluss
»gehoben«: kleine Selbständige, qualifizierte Angestellte, oder Meister, freiberuflich Tätige, Beamte im gehobenen Dienst, jeweils mit Hochschulabschluß; mittlere Selbständige, Angestellte in gehobenen Positionen, Beamte im höheren Dienst, jeweils ohne Hochschulabschluss
»hoch«: mittlere Selbständige, Angestellte in gehobener Position, Beamte im höheren Dienst, jeweils mit Hochschulabschluß; größere Selbständige mit und ohne Hochschulabschluß.“
Studierende mit „sozial gehobener“ Herkunft, das sind eben nicht die Kinder der Blankeneser Villenbesitzer, ebensowenig wie alle Studierenden mit „sozial hoher“ Herkunft von Papi drei Autos und eine Segelyacht zum Geburtstag geschenkt bekommen haben.
Hier sind vielmehr die Reihenhausmieter gemeint, die eben auch irgendwo im Dispo rum krebsen, und die Vorort-Doppelhaus-Besitzer, die der Deutschen Bank auf Jahrzehnte die Zinsen für den Kredit in den Rachen schmeißen.
Die bezahlt davon Josef Ackermann über 11 Millionen Jahresgehalt. Der und seine handvoll Kollegen „Spitzenmanager“ jedoch können in ihrem Leben nicht so viele Kinder zeugen, daß die über 30% der Studierendenschaft ausmachen würden.
In den Vorstands- und Manageretagen aber sitzen jene, die sich problemlos die Studiengebühren nicht nur der eigenen Kinder, sondern ganzer Hochschuljahrgänge leisten können.
Der Armuts- und Reichtumsbericht der Bundesregierung läßt uns wissen: Während das oberste Fünftel der Bevölkerung über 2/3 des bundesdeutschen Gesamtvermögens verfügt, hat das unterste Fünftel ein negatives Vermögen. Das oberste Zehntel allein verfügt über nahezu die Hälfte des Gesamtvermögens (47%).
Kommen wir also auf Frau Frede zurück. Der "Öffentlichkeit" gegenüber läßt sich recht einfach die Ablehnung der Zumutung von Studiengebühren begründen: Bildung ist eine gesellschaftliche Aufgabe, d.h. vorerst entsprechend staatlich zu gewährleisten. Das Geld dafür ist bei jenen zu holen, die es im Überfluß haben. Dafür gibt’s Steuern!
Die DGB Bezirksvorsitzenden setzen sich für das uneingeschränkte Recht auf Bildung und für den gleichberechtigten Zugang aller Studierenden zu den Hochschulen in der Bundesrepublik Deutschland ein. Deshalb lehnen wir die Einführung von Studiengebühren ab und fordern die Landesregierungen der deutschen Länder auf, keine Studiengebühren einzuführen.
Studiengebühren führen zu einer bildungspolitischen Fehlsteuerung, da nicht mehr Wissen, Fähigkeiten und Begabungen über den Hochschulzugang entscheidet, sondern Einkommen und ökonomische Stärke. Das gilt ganz besonders in einer Zeit, in der in Deutschland die höchste Massenarbeitslosigkeit seit Jahrzehnten besteht und viele Menschen und Familien drastische Einkommenseinbußen erleiden. Jede Koppelung von Bildungschancen an materielle Ungleichheiten in der Gesellschaft bewirkt diese Ungleichheit auch in der Bildung und schränkt gleiche Bildungschancen ein. Nicht mehr sondern weniger Bildungsgerechtigkeit ist die Folge. Dies ist eine Hochschulpolitik, die eher in die Vergangenheit einer Klassengesellschaft weist als in die Zukunft einer demokratischen Wissensgesellschaft.
Permanente Bildungskürzungen und der ständige Rückgang der Bildungsausgaben am gesamten Sozialprodukt in den letzten Jahrzehnten müssen heute als Begründung für die Einführung von Studiengebühren dienen. Studiengebühren sind aber nichts anderes als eine schrittweise Privatisierung der bisher öffentlich finanzierten Bildungskosten. Dies steht im Kontext mit einer Umverteilungspolitik von unten nach oben, wie sie seit Jahren in der Sozialstaats- und Steuerpolitik angelegt ist. Bildung ist aber ein öffentliches Gut, auf das alle Menschen ein gleiches Recht haben. Die jetzt stattfindende Diskussion um Studiengebühren lässt außerdem gänzlich außer acht, dass z.B. die hessische Landesverfassung die Erhebung von Studiengebühren nicht zulässt.
Hohe Qualität der Lehre und bessere Ausstattung der Hochschulen sind vor allem durch mehr finanzielles Engagement der öffentlichen
Hand zu leisten. Studiengebühren versickern dagegen direkt in den Landeshaushalten und dienen dazu, den weiteren Rückzug der Länder aus ihrer öffentlichen Verantwortung für die Hochschulen zu rechtfertigen. Statt die Einführung von Studiengebühren zu forcieren wäre es zum Beispiel Aufgabe der Bildungspolitik der Länder und des Bundes, die Fehlsteuerungen in der Steuerpolitik der Vergangenheit bei Kapital, hohen Einkommen und Vermögen zu korrigieren, um damit der Krise der öffentlichen Haushalte entgegenzuwirken. An finanziellen Ressourcen für Bildung mangelt es in Deutschland nach wie vor nicht.
Mit der Einführung von Studiengebühren wird der Einfluss anonymer Marktprozesse auf das Bildungssystem verstärkt. Marktprinzipien sind zur Steuerung eines Bildungssystems denkbar ungeeignet, da sie permanent Ungleichheit erzeugen. Eine unabhängige Forschung und Lehre im allgemeinen gesellschaftlichen Interesse sowie gleiche Bildungschancen sind damit nicht zu erreichen. Für Kultur- und Sozialwissenschaften und kritisches Denken bestände nur noch schwerlich ein Markt, falls diese Disziplinen als “unwirtschaftlich” nicht gleich in den Hochschulen abgewickelt würden.
Internationale Vergleiche zeigen außerdem, dass nicht die marktmäßige Steuerung des Bildungssystems gesellschaftlich die besten Ergebnisse erzielt, sondern das öffentlich finanzierte. Die Behauptung, Studiengebühren seien eine Voraussetzung für internationale Konkurrenzfähigkeit ist falsch. In Finnland wurde 1997 die generelle Gebührenfreiheit festgeschrieben. Gleichzeitig gibt es eine breite öffentliche Finanzierung der Studierenden. Eine hohe Studierendenquote ist die Folge. Auch diese Tatsache zeigt die Erfolge der finnischen Bildungspolitik, die seit PISA wohl unbestritten sind.
Bildung und Hochschulbildung sind für die/den Einzelne/n mehr als eine zu bezahlende Dienstleistung, mit der jede/r in ihr/sein “Humankapital” investiert, um sich später bestmöglichst am Markt zu “verwerten”. Der Vorschlag neoliberaler Ökonomen, die Studiengebühren über Kredite zu finanzieren, zeigt diese Absurdität. Die Beispiele in den USA belegen, dass die Banken an jedem geliehenen Dollar einen Dollar verdienen. Die Banken werden zukünftig um „marktgängige Fachwissenschaftlerinnen und -wissenschaftler“ buhlen, die mit einem erheblichen Schuldenberg ihre Berufstätigkeit beginnen.
Mit einem emanzipatorischen Bildungsleitbild im Sinne von Individualität, Aufklärung und Humanismus hat dies alles nichts mehr zu tun. Markt und Studiengebühren sind als Steuerung für die Bildung und Hochschulbildung ungeeignet. Sie widersprechen den Prinzipien einer sozialen Demokratie.
Sehr geehrter Herr Lüthje,
mit Verärgerung haben wir zur Kenntnis genommen, daß Sie sich als Präsident der Universität Hamburg jüngst erneut für Studiengebühren ausgesprochen haben. "„Lüthje hält eine Semestergebühr von 500 Euro für ‚sinnvoll und notwendig‘.“ (Hamburger Abendblatt, 28.01.2005)
Mit der Befürwortung von Gebühren geben Sie der neoliberalen Politik des Hamburger rechten Senats und dem Druck der Hamburger Handelskammer statt, unterstützen sie eine Entwicklung der Zerstörung humanistischer Wissenschaftskultur und widersprechen sie zum wiederholten Mal den Beschlüssen der Gremien der Akademischen Selbstverwaltung gegen die Einführung von Studiengebühren.
In der aktuellen yousee, dem Magazin der Uni-Pressestelle, antworten Sie auf die Interviewfrage „Wird sich nach Ihrer Einschätzung durch die Erhebung von Studiengebühren etwas an dem Verhältnis zu den Studierenden ändern?“ wie folgt: „Ich bin überzeugt, daß sich das Verhältnis zwischen Universität und Studierenden in beide Richtungen verändern wird. Die Studierenden werden sehr viel eindeutiger ihre Erwartungen formulieren, und die Universität wird sich diesen Erwartungen stellen müsse.“
Hier lassen Sie unter den Tisch fallen, daß sich mit der individuellen Kostenpflichtigkeit des Studiums in erster Linie die Erwartungen selbst ändern und ändern sollen. ( Nur nebenbei sei angemerkt, daß die Studierenden gesetzlich verankert Mitglieder und damit Bestandteil der Universität und nicht etwas ihr äußerliches sind.) Die veränderte Studienerwartung ist für die Apologeten der Gebühren die entscheidende beabsichtigte Wirkung. So schrieb die Handelskammer bereits 1999:
„Durch den Übergang von der Objekt- zur Subjektförderung und die Einführung von Kostenbeiträgen werden die Studierenden ihre Ausbildung als Investition in ihre Zukunft, als Investition in ihr Humanvermögen verstehen und sich Gedanken über die Rendite der Investition machen.“ („Hamburger Hochschulen reformieren – mehr Freiheit für unternehmerisches Handeln“).
Komme ich jung genug auf den Arbeitsmarkt? Lerne ich, was ich lernen soll? Bin ich besser als die anderen? Nicht die souveräne Vertretung bewußt reflektierter Studieninteressen, sondern die gehetzte und getriebene Erfüllung fremdgesetzter Normen ist die Wirkung der Gebühren. Die Antizipation der gewinnsüchtigen Erwartungen künftiger Arbeitgeber soll die Studierenden sich selbst zu willigem Humankapital machen lassen wollen.
Das Studium als Neugier für die Welt und andere Menschen, wissenschaftliche Erkenntnisgewinnung als Bestandteil gesellschaftlichen Fortschritts, lernendes Forschen und forschendes Lernen als solidarisches Kooperation von Studierenden, Lehrenden und den Kollegen der Verwaltung – all dies soll so zerstört und für die Zukunft unmöglich werden.
Die Unterwerfung der Wissenschaft und ihrer Subjekte unter die schönfärberisch „Standortinteressen“ genannten Profitwünsche von Großunternehmen kann nicht sozial gerecht sein.
Während eben diese Großkonzerne, wie der Presse allenthalben zu entnehmen ist, Rekordgewinne einstreichen, sollen Studierende und bisweilen auch die Mittelstandshaushalte der Akademiker zum Sündenbock für wachsende soziale Unsicherheit, Armut und Massenarbeitslosigkeit erklärt werden (z. B. Dorothea Frede, C4-Professorin, ebenfalls in der yousee: „Da hierzulande junge Eltern einen erheblichen Teil ihres Einkommens für Kindergartenplätze aufwenden und jeder Steuerzahler Fortbildungskurse an der Volkshochschule bezahlen muß, ist nicht einsichtig, warum allein für Studierende eine Beteiligung als unerträgliche Härte gelten soll“). So dienen die Gebühren der Verschleierung der wahren Ursachen wachsender sozialer Ungleichheit – auch das kann beim besten Willen nicht „sozial gerecht gestaltet“ werden.
Die soziale Selektivität von Gebühren erwies sich – als hätte es nicht international schon genug Studien mit dem selben Ergebnis gegeben – nun auch wieder in der jüngsten Studie des Hamburger Studentenwerks: „In Hamburg hat sich die Verteilung zugunsten der "höheren" und zu ungunsten der "niedrigen" sozialen Herkunftsgruppe stärker als im Bundesdurchschnitt verschoben.“ Ein Schelm, wer dabei an die „Langzeitstudiengebühren“ denkt.
Als eine bemerkenswerte Mischung aus Fatalismus und Größenwahn erscheinen deshalb Ihre in der yousee geäußerten Auffassungen, auf der einen Seite die Studiengebühren als unumgänglichen Sachzwang leerer Staatskassen zu befürworten, auf der anderen Seite aber zu glauben, Sie könnten vom selben Staat die Finanzierung eines umfassenden Systems zum lückenlosen Ausgleich sozialer Nachteile erwirken. Lieber Herr Lüthje, sozialer Fortschritt wird nicht durch Einzelne in geschickten Verhandlungen erschlichen, er muß durch solidarisches Engagement errungen werden.
Wenn nun der Hamburger Wissenschaftssenator angekündigt hat, die Entscheidung über die Einführung von Studiengebühren den Hochschulen zu überlassen, so ist das ein Kampferfolg durch massive Proteste und Aufklärung für die gesellschaftliche Notwendigkeit eines gebührenfreien Studiums.
Diese Option ist positiv zu nutzen. Die zentralen Gremien der akademischen Selbstverwaltung haben sich ebenso wiederholt gegen Studiengebühren ausgesprochen wie die Studierenden auf Vollversammlungen, in einmütigen Beschlüssen des Studierendenparlaments, durch den AStA und die Fachschaftsräte und auf diversen Unterschriftenlisten*.
Wir fordern Sie auf, Herr Lüthje, sich dieser Universitätsposition gegen Studiengebühren anzuschließen und mit uns gemeinsam für die Aufrechterhaltung der Gebührenfreiheit des Studiums als Bestandteil der Umkehr zu gesellschaftlichem Fortschritt zu streiten.
Nur ein gebührenfreies Studium ermöglicht eine Wissenschaft, die nicht das Profitinteresse einiger weniger, sondern gesellschaftlich verantwortlich die Verbesserung der Lebensbedingungen aller Menschen zum Gegenstand hat. Sich an der solidarischen Entwicklung einer solchen humanistischen Wissenschaft zu beteiligen, ermöglicht auch die souveräne Zurückweisung aller Sparerpressungen durch den Wissenschaftssenator.
Statt für den Griff in die Taschen der Studierenden und ihren Familien zu plädieren, streiten Sie mit uns gemeinsam dafür, das Geld wieder bei den Pfeffersäcken und Großaktionären zu holen. Eine solche Reform der Umverteilung des gesellschaftlichen Reichtums von oben nach unten schafft nicht nur die Bedingungen für eine humanistische Bildung (inklusive kostenfreier Kindertagesstätten und Volkshochschulkurse), sondern auch für vernünftige Kultureinrichtungen, sinnvolle Arbeit für Alle und eine menschenwürdige Gesundheitsversorgung – alles in allem also Voraussetzungen für die soziale und kulturelle Entfaltung der Menschen.
Dem sollte das Engagement aller gelten.
Mit streitbaren Grüßen
Kerstin Fremder-Sauerbeck, Niels Kreller, Till Petersen & Jan D. S. Wischweh
(Die ReferentInnen der Fachschaftsrätekonferenz)