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FSRK

BA: Brutal und armselig

Der berechtigte Bachelor-Zorn bedarf der solidarischen Wendung

18:10 Uhr im Philturm-Fahrstuhl. Mit grauen Gesichtern stehen Studierende zusammen, um sich zur fünften oder sechsten Lehrveranstaltung des Tages zu schleppen. Der „work-load“, der in den zu Modulbausteinen zerhäckselten Studiengängen für das Einsammeln der erforderlichen Leistungspunkte erbracht werden soll, lastet geradezu sichtbar auf den Schultern. Jemand fängt einen Gesprächsfetzen von Kommilitonen auf und fragt mit plötzlich hoffnungsglänzenden Augen nach: „Fällt es aus?“

Es könnte ja sein, dass unverhofft eine Doppelstunde Zeit wäre, um die Rückstände aufzuholen – kopieren, lesen, Schreibaufgaben, Referatsvorbereitung. Bald ist die Prüfung und was bleibt sonst anderes, als sich krank zu melden. Für letzteren Fall muss unter Umständen die „körperliche oder geistige Funktionsstörung“ (sic! BA-Rahmenordnung) nachgewiesen werden, die einen hat „versagen“ lassen. Das ist menschenfeindlich und genau so gewollt.

Kritiklos und fit, flexibel und anspruchslos funktionieren soll man, jetzt und später, an der Uni und „im Leben“. So wollen es die Wirtschaftseliten mit ihren drägerschen Handlangern vor Ort und drängen den Universitätsmitgliedern die schmalspurige Fachidiotisierung begleitet von Managementprozeduren à la STiNE auf. „Nach oben“ führt die Schmalspur die Wenigsten; die soziale und kulturelle Ungleichheit in den europäischen Gesellschaften soll ideologisch naturalisiert und bildungspolitisch fortgeschrieben werden. Das ist auch den meisten bekannt, wird mehrheitlich abgelehnt, aber ist vermeintlich nicht zu ändern. Also Maulhalten, Strampeln und Sich-über-Wasser-halten? Keine Zeit, sich kritisch und wissenschaftlich mit relevanten Fragen zu beschäftigen? Wann habe ich zuletzt ein gutes Buch gelesen? Wann ein ernsthaftes Gespräch geführt, ohne Blick auf die Uhr? Je mehr stumpfe Lerneinheiten man folgsam in sich hineinstopft (und zu gegebenem Zeitpunkt wieder ausspuckt, so dass man sich auch die teilweise weiterhin vorhandenen kritischen Inhalte nirgends wirklich aneignet), umso mehr schreitet die Entbildung voran. Wenn die – berechtigte! – Neugier und Erwartung, mit der man an die Uni kam, aufgerieben wird, kann man alles hinschmeißen (kaum verwunderlich also die dramatische Abbrecherquote in den Bachelorstudiengängen), verbissen durchhalten – oder zur Besinnung kommen.

Menschlich ist, sich seines Verstandes zu bedienen, die gemeinsame Lage mit anderen (zunächst den Kommilitonen) zu erkennen und zu bewerten. Wissenschaftlich ist, sich mit den gesellschaftlichen Problemen (darunter Kriege, Hunger, Massenerwerbslosigkeit, Klimakatastrophe) und Entwicklungsmöglichkeiten fächerübergreifend auseinanderzusetzen. Zu Recht fordern die erfrischend Bachelor-zornigen Berliner Politologen Peter Grottian und Wolf-Dieter Narr eine Universität, „die den menschenrechtlich demokratischen Problemen und Anforderungen des 21. Jahrhunderts angemessener“ ist (in: „Bachelor macht dumm“, taz vom 08.11.06).

Gegen die mit den verdummenden Bachelor-Studiengängen ausgreifende „Banalität des Bösen“ (a.a.O.). Mit Muße, Tiefe und Solidarität.

http://www.fsrk.de/artikel_57.html [Stand 2. Januar 2007]