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FSRK
Zeitung - Teil 2 von 4

Bildungsprivatisierung um jeden Preis

Der aktuelle Senatsentwurf für „nachgelagerte“ Studiengebühren

„Durch die Neuordnung der Ausnahmetatbestände wird sich die Zahl der zahlungspflichtigen Studierenden um ca. 10.000 gegenüber den derzeit geltenden gesetzlichen Regelungen erhöhen. Die höhere Zahl an Gebührenpflichtigen wird allerdings nicht dazu führen, dass die bisher erzielten Einnahmen aus Studiengebühren vollständig erreicht werden.“
Presseerklärung der Behörde „für“ Wissenschaft und Forschung, 17. Juni 2008.

Der neue Gesetzentwurf zur Einnahme von Studiengebühren sieht vor, daß alle Studierenden pro Semester 375 Euro Gebühren zahlen müssen. Wer das nicht sofort tut, hat das Recht auf eine Stundung der Gebühren für die Dauer der Regelstudienzeit plus zwei Semester. Die Gebühren für jedes weitere Semester werden sofort fällig. AbsolventInnen, die ein Jahresbruttoeinkommen von mindestens 30.000 Euro haben, müssen die Gebühren zurückzahlen. Studierende mit kleinen Kindern und sowie behinderte und chronisch Kranke „dürfen“ sich nach Ende der Regelstudienzeit plus zwei Semester von der weiteren Gebührenzahlung befreien lassen. Eine Befreiung aus sozialen Gründen soll es weiterhin nicht geben. Gesellschaftliche Ungleichheit würde damit auch weiterhin verschärft.
Die „nachgelagerten“ Gebühren sind vor allem „Langzeitgebühren“, die ein vertiefendes und kritisches Studium, soziales Engagement innerhalb und außerhalb der Hochschule sowie Studierende aus bildungsfernen Schichten besonders strafen sollen. Sie treffen alle, weil damit Konformität mit zunehmend menschenwidrigen, weil geschäftsorientierten Bedingungen erzwungen werden soll. Es bleibt also dabei: Gebühren sind entsolidarisierend, antiwissenschaftlich, unsozial und undemokratisch; sie verschlechtern die Bedingungen des Lernens für Mündigkeit, Demokratie und wissenschaftlichen Fortschritt zum Wohle der Allgemeinheit.
Die Hochschulen sollen nun die Gebühreneintreibung an die „Wohnungsbaukreditanstalt“ (WK) abtreten. Die entstehenden Kosten dieser öffentlich-rechtlichen Kreditanstalt sollen aus dem Etat der Stadt beglichen werden: so die Zinsen für die Stundungen, die Zahlungsausfälle, die Verwaltungskosten. Zusätzlich will die Stadt die auf 2,5 Mio Euro geschätzte Einnahmenlücke der Hochschulen auffüllen, die durch die Senkung der Gebühren bei gleichzeitigem Wegfall von Befreiungstatbeständen übrigbleibt. Nach eigenen Angaben der Behörde für Wissenschaft und Forschung (BWF) verursacht dieses System jährliche Kosten der öffentlichen Hand in Höhe von 22 Mio. Euro. (Dabei sind die zugrundegelegten Prognosen der Sofortrückzahlung der Stundung unsäglich geschönt; angeblich würden 80 Prozent der Absolventen die gestundete Summe von knapp 5.000 Euro zwei Jahre nach ihrem Studienabschluß zurückgezahlt haben.)

De facto bedeutet dies, daß die fortgesetzte Gebührenerhebung die öffentliche Hand, also die Steuerzahler, nahezu soviel kostet, wie die Gebühreneinnahmen „einbringen“. Allerdings ist durch die studentischen Proteste erreicht, daß der unmittelbare Zahlungsdruck und erhebliche soziale Benachteiligungen gemildert werden müssen, auch muß die Stadt die strukturelle Unterfinanzierung der Hochschulen als Problem anerkennen. Gerade diese hohe Widersprüchlichkeit des Gesetzentwurfes macht deutlich, daß seitens der politischen Akteure nur noch dogmatisch auf den Gebühren beharrt wird, weil sie ihnen als Mittel zur ökonomistischen Menschenlenkung dienen: Studiengebühren um jeden Preis.
Die derzeitige politische Alternative dazu ist, keine Gebühren zu erheben. Die staatlichen Kosten der geplanten Gebührenerhebung könnten dann direkt den Hochschulen als Zuweisung für die Förderung von Lehre und Studium, zum Ausbau der Kapazität an Lehrenden und den Studierenden zur Aufstockung des BAföGs als einem Vollzuschuß zukommen. Eine Verschiebung der Steuerlast von der relativ hohen Besteuerung niedriger und mittlerer Einkommen zu höheren sowie die relevante Hinzuziehung von großen Vermögen, Gewinnen und Erbschaften würde zudem der wachsenden sozialen Ungleichheit der Gesellschaft entgegenwirken und diejenigen stärker in die Pflicht der Finanzierung öffentlicher Aufgaben nehmen, die derzeit am meisten von einem hohen Niveau in Bildung und Wissenschaften profitieren: die gewinngroßen Unternehmen.
Daß die Kritik an deren gesellschaftlichem Schmarotzertum durch eine solche Wissenschaftspolitik eine breitere, qualifizierte Basis erhalten kann, ist eine Wirkung, die durchaus beabsichtig ist.

http://www.fsrk.de/artikel_53.html [Stand 22. Juni 2008]