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FSRK
Zeitung - Teil 1 von 4

Aufruf zum Mißbrauch der Universität

„Die Beiträge für sogenannte Langzeitstudentinnen und -studenten haben sich bewährt. Mit ihnen wird einer Verzögerung des Studienabschlusses sowie einer übermäßigen Inanspruchnahme der Leistungen der Hochschulen entgegengewirkt.“
Hessischer Landtag, „Dringlicher Entschließungsantrag der Fraktionen der CDU und der FDP betreffend Langzeitstudienbeiträge müssen beibehalten werden“, 3. Juni 2008.

Die hessischen Vorkämpfer gegen Ausländer und andere Schmarotzer um den kommisarischen Ministerpräsidenten Roland Koch konnten es nicht lassen: Am Tag der Abschaffung der Studiengebühren in Hessen starteten CDU und FDP einen letzten Versuch, zumindest den Kern des Bezahlstudium — die Langzeitgebühren — zu retten.
Die Freunde von Vaterland, Ehre, Ordnung, Sauberkeit und Unternehmensgewinnen haben sich die „Bekämpfung des Mißbrauchs des Studierendenstatus“ auf die Fahnen geschrieben. Vier Semester über Regelstudienzeit ist noch gerade akzeptabel, weil mancher „Bursche“ ja auch saufen und sich mit Säbeln das Gesicht aufschlitzen muß, dann sei aber auch gut. Wo kämen wir denn hin, wenn alle „übermäßig“ studieren? Nachher werden alle noch zu klug.

Die Erwartungen der Konservativen und Wirtschaftsliberalen an Wissenschaft sind ebenso schlicht wie schädlich: Die als Unternehmen zu führenden Hochschulen sollen just-in-time verwertbare Forschungsergebnisse liefern und profitabel zu beschäftigende Akademiker produzieren. Studierende sollen also gerade soviel lernen, daß sie gut funktionierende Arbeitskräfte werden.
Die Reflektion gesellschaftlicher Verantwortung von Wissenschaft, sozialkritische Vertiefung, der Blick über den Tellerrand des unmittelbar Berufsqualifizierenden und die Herausbildung von Mündigkeit gelten als Störfaktoren und sollen mit Studiengebühren bestraft werden.

Der zitierte Antrag ist im hessischen Landtag abgewiesen worden. Es ist ein großer Erfolg der studentischen Bewegung der vergangenen Semester, daß sich die anderen Parteien im Hessischen Landtag von dieser Demagogie unbeeindruckt für die vollständige Abschaffung sämtlicher Gebühren (auch „Verwaltungsgebühren“ und für das „Zweitstudium“) und damit tendenziell für das Recht auf (wissenschaftliche) Bildung zum Wohle der Allgemeinheit entschieden haben.
— In Hamburg wird dagegen derzeit mit „nachgelagerten Gebühren“ die Diskussion faktisch auf „Langzeit“-Gebühren zugespitzt.

Die ideologische Botschaft dieser Politik ist eindeutig: Bildung sei eine kostbare Ressource. Wer sie in Anspruch nimmt, müsse dankbar sein. Wer sie als Investition in den eignen Marktwert begreift und seine Dankbarkeit beweist, indem er/sie brav dem Standort dient, wird geschont und muß „lediglich“ maximal 4.500 Euro „zurückzahlen“. Wer sich jedoch darüber hinaus parasitär bildet und entwickelt und gar die Regelstudienzeit plus zwei (!) Semester überschreitet soll draufzahlen.
Einzelkämpfertum und politische Devotion sind die beabsichtigten kulturellen Wirkungen dieses Instruments. Unter der bisherigen CDU-Regentschaft in Hamburg hat diese Politik der Auslese, Degradierung und Menschen-Lenkung nur mäßig funktioniert und statt dessen erheblichen Widerstand durch solidarische Gebührenboykotte und kritische Proteste der Studierendenbewegung erhalten. Diese Opposition muß auch gegen Schwarz-Grün und ihre „nachgelagerte“ Gebühren-Variante fortgesetzt und weiterqualifiziert werden.
Nur emanzipatorische Ansprüche sollten maßlos sein, kritisches Lernen und menschliche Entwicklung dürfen endlos sein. — Wir rufen deshalb auf: Mißbraucht die Universität!

http://www.fsrk.de/artikel_52.html [Stand 22. Juni 2008]