„Die Hochschule steht vor der Herausforderung, ihr Ziel, in der Breite eine forschungsstarke Universität zu sein, vor dem Hintergrund einer begrenzten Grundfinanzierung mittel- und langfristig tragfähig auszugestalten. (…) Die Einbettung der Fakultäten in die gesamtstrategische Ausrichtung der Universität, insbesondere in das Konzept der Nachhaltigkeit, ist sehr unterschiedlich. […] Es ist erforderlich, die Geistes- und Sozialwissenschaften im universitären Profil stärker sichtbar zu machen. Hierbei sollte die Universität auf bereits im weiterhin geltenden Leitbild von 1998 formulierte Aspekte, wie beispielsweise Internationalisierung in historischer und zeitgenössischer Perspektive, Bezug nehmen.“
„In der Tradition der Freien und Hansestadt Hamburg verwirklicht die Universität Weltoffenheit und Toleranz, internationale Zusammenarbeit und Universalität von Wissenschaft. (…) Die Mitglieder der Universität (…) wollen zur Entwicklung einer humanen, demokratischen und gerechten Gesellschaft beitragen und Frauen und Männern gleichen Zugang zu Bildung und Wissenschaft eröffnen. (…) Im Bewusstsein ihrer Verantwortung als Teil der Gesellschaft versteht sich die Universität Hamburg als Mittlerin zwischen Wissenschaft und Praxis, sie orientiert sich dabei an den Grundsätzen einer ökologisch, sozial und ökonomisch nachhaltigen Entwicklung.“
Nachdrücklich gefordert ist dieser Tage eine verantwortungsvoll eingreifende Wissenschaft, die sich zur Aufgabe gesetzt hat, für Frieden und Völkerverständigung, Demokratie und soziale Gerechtigkeit, die Verwirklichung humaner Kultur und Bildung sowie Sicherung der natürlichen Lebensgrundlagen zu wirken.
Was kommt dabei heraus, wenn in dieser Zeit der sogenannte Wissenschaftsrat „Empfehlungen zur Weiterentwicklung der Geistes- und Sozialwissenschaften sowie der Gesamtstrategie der Universität Hamburg“ gibt?
Herumlavieren und Einfallslosigkeit.
Der Wissenschaftsrat ist kein erfreuliches Gremium. Er hat sich an so ziemlich jedem
Unrat der vergangenen Jahrzehnte zur betriebswirtschaftlichen Drangsalierung der Hochschulen beteiligt. Er befürwortete vehement die Spaltung des Studiums in Bachelor und Master ebenso, wie die Einführung von externen Hochschulräten und
forderte schon 1992 die flächendeckende Einführung von 1000,- Euro Studiengebühren.
Der Rat hat die Einführung von Konkurrenzmechanismen in den Hochschulen mitgetragen, und stellt nun in dem vorgelegten Gutachten zur Uni Hamburg fest, dass die Geistes- und Sozialwissenschaft in der Vergangenheit nicht „ebenso intensive Förderung“ erhalten haben, wie die Naturwissenschaften (S. 11). Er hat die Abwicklung der demokratischen Gremien mitverantwortet und beklagt nun unklare Zuständigkeiten (S.10). Er hat die Unterfinanzierung der Hochschulen mit organisiert und konstruiert nun einen Widerspruch zwischen fachlicher Breite und vertiefter Ausprägung wissenschaftlicher Qualität (S. 13).
„Der Wissenschaftsrat zieht auch in der Exzellenzinitiative maßgeblich die Strippen und konfrontiert sich in den hier diskutierten Empfehlungen mit seiner eigenen Politik.“ fasst der Geschäftsführer des Bunds Demokratischer Wissenschaftlerinnen
und Wissenschaftler Torsten Bultmann bereits 2011 bei ähnlicher Gelegenheit das Dilemma dieser „Experten“ zusammen.
Entsprechend begrenzt sind die „Lösungsvorschläge“ die mit den „Empfehlungen“ gegeben werden: Stärkeres Gewicht auf „Exzellenzcluster“ (S. 116), mehr Kompetenz für die Fakultätsleitungen (S. 123) und der Prüfauftrag, ob nicht doch einzelne „kleine Fächer“ (S.119) geschlossen werden können, nachdem zuvor Fächervielfalt und Interdisziplinarität gelobt wurden.
Die sinnvolle Alternative zur neoliberalen Agenda hat die Universität mit ihrem Leitbild bereits 1998 formuliert: Statt Kommerzialisierung der Wissenschaft aufgeklärte und aufklärerische Verantwortung für eine menschenwürdige Entwicklung der Gesellschaft, weltweit. Der Aktualität und Qualität dieser Grundorientierung kann sich selbst der Wissenschaftsrat nicht entziehen. Dieser grundsätzlichen Empfehlung können sich die Mitglieder der Universität deshalb guten Gewissens annehmen: noch einmal einen Blick in das Leitbild werfen, sich der Triftigkeit der eigenen, dort gefassten Ambition vergewissern und diese Grundsätze mit neuem Nachdruck verfolgen.
Dazu gehören unter anderem „Bildung mündiger Menschen“ („Für alle Menschen will sie ein Ort lebenslangen Lernens sein und ein öffentlicher Raum der kulturellen, sozialen und politischen Auseinandersetzung“), „Wissenschaft im Dienst der Menschen“ („Durch ein breites Angebot wissenschaftlicher Dienstleistungen sowie durch Krankenversorgung auf dem neuesten Stand der Forschung dient die Universität dem Wohl der Menschen und der Erfüllung öffentlicher und gesellschaftlicher Aufgaben“) und „Fächerübergreifende Kooperation“ („Die Zusammenarbeit ihrer Mitglieder beruht auf Information und Transparenz, demokratischer Beteiligung und dem Willen zur Konfliktlösung.“).
Also: konsequente Fortführung der humanistischen Studienreform, Ausbau des kritischen Gesellschaftsbezugs der Wissenschaften und Rückgewinnung der demokratischen Verfassung der Einrichtung. Und für all das die Überwindung der „begrenzten Grundfinanzierung“. Das ist gemeinsame Angelegenheit aller Hochschulmitglieder.
Der Wissenschaftsrat wurde 1957 gegründet, vertraglich vereinbart zwischen der Bundesregierung des damaligen Kanzlers Konrad Adenauer (CDU) und den Landesregierungen der elf westdeutschen Bundesländer.
Das Gremium besteht aus zwei Kommissionen, der Wissenschaftlichen Kommission und der Verwaltungskommission, die in der Vollversammlung zusammentreten und dort gemeinsame Beschlüsse - insbesondere zur Verabschiedung von Empfehlungen und Stellungnahmen – fassen. Von den 32 Mitgliedern der Wissenschaftlichen Kommission werden 24 von Wissenschaftseinrichtungen berufen, weitere 8 Personen „des öffentlichen Lebens“ (z.B. der Vorstandsvorsitzende der Carl Zeiss AG) sowie alle Mitglieder der Verwaltungskommission werden von Bundes- und Landesregierung berufen.
Die „Empfehlungen zur Weiterentwicklung der Geistes- und Sozialwissenschaften sowie der Gesamtstrategie der Universität Hamburg“ wurden Anfang 2016 von der Hamburger Landesregierung in Auftrag gegeben.
Das vorgelegte Gutachten beruht auf schriftlichen Selbstberichten der Universität und der Wissenschaftsbehörde sowie einer 2-tägigen „Begehung“ der Uni durch die Gutachterkommission, die für die Ausarbeitung der Empfehlungen eingerichtet wurde. Bei dieser Begehung wurden im Halbstundentakt Gespräche mit VertreterInnen verschiedener Mitgliedergruppen, Einrichtungen und Verwaltungsebenen geführt sowie einige hochschulische Gebäude besichtigt.
Zu den aus der Begehung gewonnenen Erkenntnissen gehört unter anderem: „Die GSW-Fakultäten sind räumlich vorwiegend am Campus Von-Melle-Park (VMP) sowie im Hauptgebäude an der Edmund-Siemers-Allee (ESA 1) in den Stadtteilen Harvestehude, Rotherbaum und in der Neustadt angesiedelt.“ (S. 85).