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dokumentiert
Dieter Lenzen am 12.10.2016

Immatrikulationsrede Wintersemester 2016/2017

Liebe Studienanfängerinnen und Studienanfänger, sehr geehrte Eltern und Gäste unserer heutigen lmmatrikulationsfeier!

Willkommen in der Holding der vereinigten Wissensproduktions- und Verteilungswerke Harnburg, Gesellschaft mit beschränkter Haftung! – wie bitte? Niemand protestiert? Glaubt hier wirklich jemand, dass die Universität ein Wissensunternehmen ist? Natürlich nicht. Die Universität ist eine öffentliche Bildungseinrichtung, in der die nachwachsende Generation, in der auch ältere Weiterzubildende vorbereitet werden auf ein hoffentlich glückvolles Leben in Beruf, Gesellschaft und Privatheit. Diese Vorbereitung findet in einer aus öffentlichen Mitteln finanzierten Einrichtung statt, die spätestens seit dem Beginn des 19. Jahrhunderts auch eine Forschungseinrichtung ist, in der also Wissenschaftler und Wissenschaftlerinnen neue Erkenntnisse hervorbringen, um sie nicht nur der nachwachsenden Generation für ein am Ende besseres Leben zur Verfügung zu stellen.

Wenn wir uns darüber in diesem Raum mehr oder weniger einig sind, dann sind wir uns sicher auch einig, dass die Analogie zwischen einer höheren Bildungseinrichtung und einem Unternehmen, das marktwirtschaftlich organisiert ist, ziemlich abwegig sein dürfte. Ein solches marktwirtschaftlich organisiertes Produktions- oder sagen wir auch nur Dienstleistungsunternehmen wie z.B. ein Handyprovider bietet die Benutzung von Infrastrukturen an, die mit Investitionsmitteln, nebenbei nicht selten auch aus der Staatskasse, aufgebaut wurden und zu deren Nutzung man – unter der Anerkennung der allgemeinen Geschäftsbedingungen versteht sich – gegen Gebühr berechtigt ist. Damit das Unternehmen im Wettbewerb immer erfolgreicher wird, immer mehr Umsatz und vielleicht auch Gewinn erzielt, benötigt es immer weitere Investitionen, um die Infrastruktur und das Serviceangebot zu erweitern, das heißt es muss wachsen. Dieser Wachstumsmechanismus, der zwangsläufig irgendwann an sein Ende gerät, ist das Grundelement der „kapitalistischen Gesellschaft“. Platt formuliert: Irgendwann ist das Metall verbraucht, das man benötigt, um Funkantennen in die Weit zu stellen.

Wenn man also die Universität mit einem wachstumsorientierten Unternehmen vergleicht, nimmt man offenbar auch in Kauf, dass das Wissenswachstum an ein gewolltes Ende gerät. Eine merkwürdige Idee, irgendwann nichts mehr wissen zu wollen. Aber es gibt noch mehr Analogien, die heutzutage gerne hergestellt werden. Wie in einem Unternehmen werden die Universitäten von ihrem Eigentümer, dem Staat, inzwischen gezwungen, sich auf bestimmte Ziele und Leistungen festlegen zu lassen, die von Jahr zu Jahr steigen sollen und deren Nichterreichung mit dem Entzug von finanziellen Mitteln verbunden ist. Logischerweise kann die Einrichtung mit weniger Mitteln nur weniger produzieren, also sagt der Staat übersetzt: wir wollen eigentlich schon jetzt nicht mehr so viel wissen und so viel ausbilden wie wir gemessen an der Zahl der Ausbildungsinteressierten und an der Vielfalt des Wissenswerten können würden. Nicht wahr: ein merkwürdiges Unternehmen, das lieber weniger produziert, als gebraucht wird und als es der Gesellschaft zur Verfügung stellen könnte.

Jetzt wollen Sie, liebe Anwesende, natürlich gerne wissen, was zu produzieren man von uns erwartet. Hier sind einige der seitens des Staates in den Ziel- und Leistungsvereinbarungen des zurückliegenden Jahres vorgegebenen Kriterien:

— Zahl der Studienanfänger und Studienanfängerinnen
— Zahl der Absolventen und Absolventinnen
— Input-Output-Quote bei den Studierenden
— Zahl der Studienanfänger und Studienanfängerinnen in Weiterbildungsstudiengängen
— Zahl der Beteiligungen an Sonderforschungsbereichen der Deutschen Forschungsgemeinschaft
— Zahl der Beteiligungen an Graduiertenkollegs der Deutschen Forschungsgemeinschaft
— Zahl der Beteiligungen an Forschergruppen der Deutschen Forschungsgemeinschaft
— Gesamtsumme der eingeworbenen Drittmittel
— Outgoing-Quote bei den Studierenden

Ich möchte Sie gerne fragen, was Sie davon halten, und meinerseits eine Analogie herstellen: Wenn ein Automobilhersteller in der Aktionärsversammlung den Auftrag erhält, künftig 5% mehr PKWs zu erzeugen, dann wird damit die Zusage verknüpft, weitere Investitionsmittel zur Verfügung zu stellen oder auf dem Geldmarkt aufnehmen zu dürfen, damit Metall und Kunststoffe gekauft und mehr Personal eingestellt werden kann. Manchmal gibt es auch Aktionäre, die meinen, dass die Bandarbeiter doppelt so schnell arbeiten können oder wenigstens 5% schneller, so dass keine höheren Personalkosten entstünden. In der Regel wird das mit Streiks oder einem erhöhten Krankenstand quittiert. In der Universität ist es nicht so. Streiks sind äußerst selten und der Krankenstand ist der niedrigste aller Einrichtungen der Freien und Hansestadt Hamburg.

Und wie ist es nun mit den Investitionen? Irgendwie scheint plausibel, dass man für 5% mehr Leistung vielleicht 5% mehr Investitionen benötigt. Es sei denn, es gäbe Rationalisierungsreserven, etwa dadurch, dass man die Bänder schneller laufen lässt. Es ist leicht einsehbar, dass das in einer Universität unmöglich ist, trotzdem scheint in der Politik der Gedanke vorzuherrschen, dass Bildungsarbeit Bandarbeit ist. Denn: die Investitionsmittel für das erwartete Wachstum werden nicht erhöht, nicht einmal werden die Finanzmittel dafür bereitgestellt, um die erhöhten Kosten für Metall und Personal (Tarifaufwüchse) zu kompensieren. Der Wissenschaftsrat hat festgestellt, dass der Universität Hamburg eigentlich pro Jahr 3,5% Zuwachs an finanziellen Mitteln zustünden. Faktisch bekommt sie einen Zuwachs von 0,88%. Kann das gutgehen?

Wenn man so etwas bei einem KFZ-Hersteller machen würde, was würde dann passieren? Richtig: Montagsautos von montags bis samstags mit Fehlern, mit nicht festsitzenden Rädern, kleinen Beschädigungen am Lack von übermütigen Arbeitern, die Tempoerwartung mit kleinen Sabotagen quittieren, schlechtere Innovationen oder gar keine, weil die Innovationsmittel fehlen und die Wettbewerber die besseren Autos produzieren und und und. Wenn die Analogie also halten soll, dann nimmt der Staat mit seinem Verhalten offenbar in Kauf, dass die Universitäten in immer kürzerer Zeit immer schlechtere Absolventen produzieren und dass die Forschungsergebnisse an Umfang und Reichweite zu wünschen übrig lassen.

Nein, das stimmt nicht ganz: der Staat hat sich etwas Besonderes ausgedacht: er verteilt die Forschungsmittel nicht mehr wie noch in den 70/80iger des vorherigen Jahrhunderts auf das diensttuende Personal, sprich die Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler, sondern er verlangt, dass diese sich die Mittel selbst besorgen, die sie benötigen, um ihre Dienstpflichten zu erfüllen. Diese Mittel nennt man DrittmitteI, weil sie von Dritten kommen und nicht von der Freien und Hansestadt Hamburg. Wenn man viele dieser Drittmittel einwirbt, dann ist man tüchtig und die Gemeinde liebt einen. Es ist leicht durchschaubar warum, weil von diesen von außen kommenden Mitteln Personal eingestellt wird, das beim Bäcker Brötchen kauft und auf dem Dom Karussell fährt. Dafür gibt es Geld aus. Dafür bekommt der Staat mehr Einnahmen. Übrigens fast das Doppelte der Investitionen, wie das Deutsche Institut für Wirtschaftsforschung berechnet hat. Also sind Bildungsinvestitionen eigentlich ein gutes Geschäft.

Zurück zur Analogie: Stellen Sie sich vor, die Bandarbeiter und Bandarbeiterinnen bei BMW oder Mercedes müssten die erforderlichen Materialien wie Metall, Leder, Kunststoffe oder Gummi beantragen und ihr Gehalt würde davon abhängig gemacht, ob es ihnen gelingt, dieses Geld von Dritten, also nicht von BMW oder Mercedes, zu besorgen. Nach dem zweiten Weltkrieg nannte man diese Tätigkeit organisieren. Und der Markt hieß Schwarzmarkt.

Warum erzähle ich Ihnen all dieses? – Weil Sie als diejenigen, die heute mit großer Hoffnung, Erwartung und banger Freude hier sitzen, wissen sollen, was sie von einer Universität heute erwarten können und was nicht. Unsere Professorinnen und Professoren werden NICHT danach beurteilt, ob SIE in Ihrem künftigen Leben glücklich sind, ob SIE den richtigen Beruf, den richtigen Arbeitsplatz gefunden haben, ob die Erkenntnisse, die sie durch Forschung hervorgebracht haben, wenn auch nicht sofort, so doch langfristig unser Leben lebenswerter machen, sondern unsere Wissenschaftler und Wissenschaftlerinnen aber auch die Universitäten als Ganze werden danach beurteilt, ob sie möglichst schnell möglichst viele von Ihnen wieder aus der Universität entlassen und ob sie für die Hervorbringungen in der Forschung, egal welcher Forschungsergebnisse, möglichst viel Geld ausgegeben haben, Geld von Fremden versteht sich.

Ein anständiger Professor, eine anständige Hochschullehrerin, sie alle befinden sich also in einer Art Sandwich-Position: auf der einen Seite sind sie dem hohen Ethos von wahrer Erkenntnis und wirklicher Bildung und nicht bloß Ausbildung verpflichtet und sie haben diesen Beruf auch deswegen gewählt, weil sie einen Dienst an der nachwachsenden Generation und an der Erkenntnis erbringen wollen, auf der anderen Seite erwartet man von Ihnen aber nicht Qualität sondern Masse. Blinde Aktivität im Organisieren von Geld und vieles andere, was sich nicht unmittelbar damit verträgt, zu leisten, was Friedrich Bollnow das einmal „bildende Begegnung“ genannt hat. Gemeint ist die Begegnung zwischen einem Lehrenden oder einer Lehrenden und den Lernenden mit der Absicht, Persönlichkeiten herauszubilden, in dem sich junge Menschen mit Wahrheitsfindung und dem Diskurs über Gewissheit und Wahrheit auseinandersetzen. Für Sie bedeutet das also, dass Sie manches Mal enttäuscht sein werden, weil die Zeit einfach nicht reicht, um mit Ihnen ein ausführliches Gespräch zu führen. Trotzdem werden sich Hochschullehrerinnen und Hochschullehrer darum bemühen. Für sie bedeutet das, dass die Ausbildung der nachwachsenden Generation keineswegs die absolute Priorität der Universität ist, sondern durchaus manches Mal zurückstehen muss hinter der Erwartung, Geld zu organisieren, Berichte zu schreiben, Anträge zu schreiben, Gutachten zu schreiben, Gutachten einzuholen, Gutachten zu lesen, Gutachten zu verwerfen, neue Gutachten einzuholen usw. Ja, und Sie werden manches Mal oder hoffentlich nur manchmal erfahren, dass einfach die Zeit nicht reicht, um sich mit Ihnen zu befassen, weil in manchen Fächern pro Seminar mehr als tausend Klausuren zu korrigieren sind, weil Doktoranden zu betreuen sind, Dissertationen zu lesen, Seminararbeiten usf. Ich bitte Sie um Nachsicht. Solange die Universität und ihre Angehörigen danach beurteilt werden, ob sie Masse machen, immer mehr und immer mehr und nicht, ob sie Klasse machen, immer besser und immer besser, kann sich daran nichts ändern. Im Gegenteil, solche Einrichtungen steuern auf einen institutional burnout zu.

Was machen wir nun dagegen? Sie fragen, warum lassen wir uns das gefallen? Nun ja, die Ziele und Leistungen der vergangenen Jahre hat die Hochschulleitung nicht unterschrieben. Die damalige Regierung hat sie schließlich dekretiert. In diesem Jahr ist das zum ersten Mal anders. Die Senatorin für Wissenschaft, Forschung und Gleichstellung, hat sich mit ihrer Administration erstmals darauf eingelassen, die von der Bürgerschaft erwarteten Ziele und Leistungen so zu formulieren, dass sie praktisch kein Wachstumselement mehr enthalten. Das ist ein erster Schritt in die richtige Richtung. Es ändert aber nichts daran, dass die Einführung von Instrumenten der Unternehmenssteuerung- und das noch dazu ohne gesteigerte Investitionsmittel – in einer Bildungseinrichtung schlicht abwegig ist. Die Analogien laufen leer, pervertieren sich und sind bestenfalls lächerlich.

Um aber auch das in aller Klarheit zu sagen: die Universität verweigert sich mit allen ihren Angehörigen, Lehrenden wie Lernenden natürlich nicht der Leistung. Aber Leistung muss gemessen werden in Kategorien von Qualität, im Wert von Forschungsergebnissen, im Wert der Bildung. Wir bestehen deshalb darauf, dass das Zählen angeschraubter Räder beendet wird und durch die Beurteilung der Qualität, des „Produkts“ – (um diese Analogie totzureiten) – ersetzt wird. Das heißt, wir möchten Erkenntnisse hervorbringen, die das Leben der Menschen erleichtern und wir möchten junge Menschen bilden und nicht nur für einen Beruf ausbilden, so dass sie eine höhere Chance besitzen, ein für sie ganz persönlich erfülltes Leben und das heißt damit auch ein für die Gesellschaft erfülltes zu führen. Wenn Sie dazu bereit sind, dabei mitzumachen als Mitglieder dieser fast 60 000 Menschen umfassenden Einrichtung, also einer Kleinstadt, die nicht ohne Macht ist, dann heiße ich Sie herzlich willkommen! Lassen Sie uns etwas Wertvolles tun: forschen und bilden, Bildung durch Forschung und Bildung als Selbstbildung. Denn Sie sind es, die sich bilden in der Auseinandersetzung mit uns. Wir freuen uns darauf!

Seien Sie herzlich willkommen!

http://www.fsrk.de/artikel_387.html [Stand 12. Oktober 2016]


Dieter Lenzen - Immatrikulationsrede Wintersemester 2016/2017