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dokumentiert

Ein öffentliches Fanal

Rede von Peter Fischer-Appelt

Worte des Gedenkens an die Weiße Rose am Todestag von Hans Conrad Leipelt (geb. am 8.7.1921 in Wien, hingerichtet am 29.1.1945 im Gefängnis München-Stadelheim) am 29. Januar 2015, 11 Uhr, im Foyer des Auditoriums Maximum der Universität Hamburg

Immer, wenn wir an dieser Gedenktafel für die Studenten der Weißen Rose stehen, werden die Schatten länger, die uns mit ihrer Zeit verbinden. Um im Bild zu bleiben: Das Licht ihres entschlossenen Widerstandes leuchtet heller und heller hinter den in unserer fernen Wahrnehmung wachsenden Bergen von verblendeter Gefolgschaft und gezielter Untat, von namenlosem Leid und unvorstellbarem Tod, von ungesühnter Schuld und bleibender Scham.

Wer die Flugblätter der Weißen Rose liest, dem gehen die Augen über von der schonungslosen Benennung der zerstörerischen Elemente des nationalsozialistischen Unrechtsstaates, von der öffentlichen Anprangerung der Verbrechen, etwa, „daß seit der Eroberung Polens dreihunderttausend Juden in diesem Land auf bestialischste Art ermordet worden sind“ (so schon im 2. Flugblatt von 1942). Dem gehen die Augen auf für den flammenden Imperativ der „Salus publica suprema lex“, Leitwort des 3. Flugblatts, das die passive Bevölkerung an ihre Pflicht zum Aufstehen mahnte. Welches publizistische Widerstandsfanal fand im „Dritten Reich“, ja vielleicht im ganzen 20. Jahrhundert eine größere aktuelle Verbreitung als die landauf, landab in Briefkästen gesteckten, überall abgelegten und dann millionenfach von britischen Flugzeugen abgeworfenen Flugblätter der Weißen Rose? Waren das nicht überzeugende Zeichen von gewaltloser Freiheit, von solidarischer Partizipation und durchgesetzter Öffentlichkeit, die heute als Signum der Demokratie gelten? Zeichen, die gegenseitiges Vertrauen, so lebenswichtig, zwischen diesen Kreisen von jugendlichen Regimegegnern und ihren Familien stifteten, Zeichen, die bei aller Differenzierung eine Weiße Rose in Tat und Tod erkennen lassen?

Es waren viele sich überschneidende Kreise, die in Hamburg zu dieser Opposition gehörten. Sie reichten zum Teil weit zurück: Leseabende in der Wohnung der Lichtwark-Lehrerin Erna Stahl seit 1936, beteiligt u.a. Traute Lafrenz, die spätere Freundin von Hans Scholl, sowie Greta Rothe und Heinz Kucharski, deren Verbindung von diesen Treffen datierte; ferner der Freundeskreis um die Familie Leipelt in Harburg-Wilhelmsburg, der mit fünf Toten die meisten Opfer brachte; dann die Buchhandlung der Agentur des Rauhen Hauses unter dem Juniorchef Reinhold Meyer, die Buchhandlung Felix Jud und das Hauptseminar von Prof. Wilhelm Flitner; endlich die Chirurgische Klinik mit der später so genannten Ärztegruppe „Candidates of Humanity“ um Friedrich Geussenhainer, Dr. John Gluck, Dr. Heinz Lord und Ursula de Boor sowie die Kinderklinik unter Prof. Rudolf Deckwitz.

Die Gruppen hatten unterschiedliche Überzeugungen. Doch alle traten durch ihre einfache Betätigung für Demokratie, Toleranz und Menschenrechte ein. Einen schärferen Akzent setzte der Kreis um Hans Leipelt, Heinz Kucharski, Greta Rothe und den Gymnasiasten Bruno Himpkamp. Sie schrieben das 3. Flugblatt der Weißen Rose München ab und verteilten es. Sie waren die einzigen, die Widerstandsakte nach dem Vorbild der französischen Resistance planten. Doch das ging weit über ihre logistischen Kräfte und blieb unausgeführt.
Hans Leipelt empfand die Folgen der Nürnberger Gesetze für seine Familie als „persönliche Verletzung und Entwürdigung“. Das machte ihn zum Gegner der Nationalsozialisten und trieb ihn in den Widerstand. Obwohl mehrfach dekoriert, wurde er im August 1940 aus der Wehrmacht entlassen. Seinen Studienplatz in der Hamburger Chemie verlor er nach einjährigem Studium im Sommer 1941, indem er als sog. „Mischling I. Grades“ „mit dauerndem Ausschluß vom Studium an allen deutschen Hochschulen bestraft“ wurde (Karteiblatt des Studentensekretariats). In München kam er unter das schützende Institutsdach des Nobelpreisträgers Heinrich Wieland. Nach der Hinrichtung der Geschwister Scholl und von Christoph Probst brachte er das 6. Flugblatt der Weißen Rose im April 1943 nach Hamburg. „Hochexplosiver geistiger Sprengstoff!“, sagte er zu Heinz Kucharski und Albert Suhr, als er ihnen vor dem Portal des Hauptgebäudes der Hamburger Universität eine Mappe aushändigte. Dann sammelte Hans Leipelt Geld für die Witwe des hingerichteten Professors Kurt Huber, wurde denunziert, verhaftet und am 13. Oktober 1944 in Donauwörth vom Volksgerichtshof als Hochverräter zum Tode verurteilt. Auf das Schafott ging er mit dem Wort aus Lukas 21, 28: „Erhebet eure Häupter darum, dass sich eure Erlösung naht.“

Durch den Verrat der Gestapo-Agenten Maurice Sachs und Yvonne Glass wurden in Hamburg seit Mai 1943 32 Personen festgenommen, in Gefängnissen verhört, teilweise gefoltert und in Konzentrationslager verbracht. Neunzehn von ihnen wurden wegen „Vorbereitung zum Hochverrat“ und anderer sog. politischer Delikte angeklagt und in vier Strafprozessen verurteilt. Diese Sitzungen des Volksgerichtshofes fanden vom 17. bis 20. April 1945 unter dem bei Südwestwind hörbaren Geschützdonner der Alliierten Streitkräfte statt.

Es sind sechzehn Personen, die zu den Toten der beiden Zweige der „Weißen Rose“ gehören, darunter Hans Leipelt, mit Traute Lafrenz Verbindungsglied zwischen Hamburg und München, er gehörte beiden Kreisen an. Die Toten der Hamburger Weißen Rose sind:

Dr. phil. Katharina Leipelt, geb. am 28. Mai 1893 in den Tod getrieben am 9. Dezember 1943 im Polizeigefängnis Hamburg-Fuhlsbüttel

Elisabeth Lange, geb. am 7. Juli 1900 in den Tod getrieben am 28. Januar 1944 im Polizeigefängnis Hamburg-Fuhlsbüttel

Margarethe Mrosek, geb. am 25. Dezember 1902 gehenkt am 21. April 1945 im Konzentrationslager Neuengamme

Dr. jur. Curt Ledien, geb. am 5. Juni 1893 gehenkt am 23. April 1945 im Konzentrationslager Neuengamme

stud. phil. Reinhold Meyer, geb. am 18. Juli 1920 umgekommen am 12. November 1944 im Polizeigefängnis Hamburg-Fuhlsbüttel unter ungeklärten Umständen

stud. rer. nat. Hans Leipelt, geb. am 18. Juli 1921 enthauptet am 29. Januar 1945 im Gefängnis München-Stadelheim

cand. med. Margaretha Rothe, geb. am 13. Juni 1919, an den Folgen einer Lungentuberkulose verstorben am 15. April 1945 im St. Jacobs Krankenhaus in Leipzig-Dösen

cand. med. Friedrich Geussenhainer, geb. am 25. April 1912 umgekommen Ende April 1945 im Konzentrationslager Mauthausen

Wir verneigen uns vor diesen Kommilitonen, vor ihren Familien und Freunden, die den Einsatz ihres Lebens nicht gescheut haben, um gegen die menschenverachtende Diktatur des nationalsozialistischen Staates aufzustehen und für Humanität, für Freiheit und Menschenwürde eines jeden Bürgers gleich welcher Rasse, Religion und Herkunft einzutreten. Deutschland ist auch durch ihren Widerstand und ihr Opfer ein anderes, ein wieder geachtetes Land geworden.

http://www.fsrk.de/artikel_375.html [Stand 29. Januar 2015]