Ob Praxis gebühren, Studiengebühren für Langzeitstudierende, die Privatisierung der Berufsschulen, der Ausverkauf staatlicher Krankenhäuser, Kitagebühren oder Kriterien, die regeln, dass ein Langzeitarbeitsloser bald jede Arbeit als zumutbar empfinden soll: Es ist die gleiche Logik, die dahintersteht. Es ist eine Logik der Verwertungsorientierung, die blind ist für die Probleme unserer Gesellschaft. Es wird nicht nach Sinn und Nutzen von Gesellschaft und Umwelt gefragt, sondern diese sollen allein nach Effizienzkriterien innerhalb marktwirtschaftlicher Strukturen ausrichtet sein. Währenddessen ist in der öffentlichen Debatte zunehmend der Begriff der „Chancengleichheit“ im Spiel. Er dient als Legitimationsfigur für soziale Ungleichheit und für Staats- und Sozialabbau. Sowohl im Bereich der Bildungspolitik als auch in der Sozialpolitik soll suggeriert werden, dass der Staat „gleiche Chancen“ für alle garantiere und soziale Unterschiede letztlich nur auf Leistungsunterschieden oder der Bereitschaft zu persönlichem Einsatz beruhe. Soziale Ungleichheit wäre dann gerechtfertigt, wobei die auf dem Markt wirkenden Ein- und Ausschlussmechanismen jedoch nicht in Betracht gezogen werden. Wer nicht in dieses Raster eines zu Verwertung bereiten oder zu Verwertung fähigen Menschen passt, fällt aus dem staatlichen Verantwortungsbereich heraus. Dies spiegelt sich auch in der Umbenennung des Menschen in Humankapital wider. In einem überparteilichen Konsens der etablierten Parteien werden die öffentlichen Haushalte auf dem Rücken der Sozialschwachen saniert. Öffentliche Einrichtungen werden kaputt gespart und anschließend dem Ausverkauf und damit der Profitorientierung preisgegeben. Diese im Zuge der Standortpolitik verschärfte Ökonomisierung aller gesellschaftlichen Bereiche wird auch im bereits stattfindenden Umbau der Hochschullandschaft spürbar. Der Staat zieht sich aus seiner Verantwortung zurück. Durch einen Sockelbetrag, sei es für das Gehalt der Lehrenden oder der Finanzierung der einzelnen Fachbereiche, wird nur noch der Notbetrieb gewährleistet. Alles weitere soll sich durch das Prinzip der Konkurrenz regeln. Die Konkurrenz um Drittmittelforderung und die Kollkurrenz um die dann zahlenden „Studierenden-Kunden“ soll den Normalbetrieb sichern. Es ist abzusehen, dass Grundlagenforschung und kritische Wissenschaft bei dem Spiel der freien, wirtschaftlichen Verwertung von Bildung nur noch ein Klotz am Bein sein werden.
Doch Wissen soll allen Menschen dienen, und es soll die Lebensgrundlage aller verbessern. Wissen verbindet - Wissen beseitigt Vorurteile, Wissen baut Ängste ab. Wissen schafft Vertrauen und baut Brücken. Es ist diese Bedeutung von Wissen, die wir der um sich greifenden Ökonomisierung aller gesellschaftlichen Bereiche entgegensetzen wollen. Und es ist das Wissen um diese Ursachen, das uns zusammenbringt.
‚Der Hamburger CDU-FDP-Schill-Senat ist gestürzt. Für eilfertigen Gehorsam seitens der Universität gegenüber dem Senat gibt es nicht mal mehr scheinbar eine Grundlage. Für die Studierendenschaft ist dies eine erfreuliche Herausforderung, ihre Proteste gegen die neoliberale Politik fortzusetzen und auszubauen: Die politisch Verantwortlichen müssen massiv unter Druck gesetzt werden, so daß aus dem Regierungswechsel auch ein Politikwechsel wird.‘ (Resolution vom 13.01.2004)
So beginnt die Resolution, die die Vollversammlung der Studierenden der Universität Hamburg vor drei Wochen beschlossen hat. Sie traten in den Streik, um ihre Vorstellung einer kritischen und freien Universität umzusetzen. Sie erkämpften sich durch die Besetzung des Uni-Präsidiums die Grundlage und den Raum, um sich den Bestrebungen nach einer Ökonomisierung und Entdemokratisierung ihrer Hochschule aktiv entgegenstellen zu können und die Forderung an die Öffentlichkeit zu tragen, dass eine andere - eine sozial gerechte, demokratische und für alle Menschen nützliche - Bildung und Forschung weiterhin möglich und nötig ist.
Wir kritisieren an der aktuellen Wissenschaftspolitik, dass sich alles und jeder der wirtschaftlichen Verwertbarkeit unterwerfen soll. Noch schlimmer ist, dass diese kurzsichtige Politik ihre Kritiker durch teilweise undemokratische bis repressive Massnahmen - ob in Gremien oder auf der Strasse - einzuschüchtern und gefügig zu machen sucht.
Und dieses gilt nicht nur für Hamburg, sondern über Hamburg hinaus. Denn überall, wo eine solche Politik der Gefügigmachung herrscht, gilt es, sie zu bekämpfen. Wer die Menschen als ‚Humankapital‘ sieht, wer jede staatliche oder private Einrichtung allein auf ihren ‚Wertschöpfungsbeitrag‘ hin betrachtet, verdient es nicht, die Leitlinien der Politik zu gestalten! Dieses Wissen um die eine Ursache der verschiedensten Umstrukturierungen in unserer Gesellschaft brachten die Studierenden in der Resolution der Vollversammlung vor einer Woche zum Ausdruck, als sie dieselben Veränderungen, die sie bei der aktuellen Umstrukturierung ihrer Universität wahrnahmen, auch in anderen Bereichen des gesellschaftlichen Lebens erkannten und anklagten.
‚Denn auch wenn wir, wie in den letzten drei Wochen, unseren Protest öffentlich bekannt gemacht haben, reicht dies noch nicht. Unsere Forderungen sind noch lange nicht durchgesetzt, sondern immer noch wird in dieser Stadt und in diesem Land eine neoliberale Hochschulpolitik betrieben, deren Ziel die Zurichtung der Universitäten auf die reine Marktverwertbarkeit ist. Dieser Politik entgegen wollen wir Studierenden in kritischer Solidarität mit anderen sozialen Gruppen, die gegenwärtig von vergleichbaren Angriffen bedroht sind, uns weiterhin einsetzen für kritische Bildung und Wissenschaft, die in der gesellschaftlichen Verantwortung stehen für die Durchsetzung sozialer, humaner und demokratischer Verhältnisse. Diesen Streit wollen wir gemeinsam und solidarisch führen als Teil sozialer Bewegungen.‘(Resolution vom 28.01.2004)
Vor zwei Wochen begannen wir mit der Mobilisierung - wir riefen verschiedene Bildungseinrichtungen, Gewerkschaften, soziale Einrichtungen und weitere Organisationen auf, sich unserem Aufruf anzuschließen und zur Teilnahme an dieser Demo zu mobilisieren.
Unser Aufruf lautete: ‚Ob Praxisgebühren, Studiengebühren für Langzeitstudierende, die Privatisierung der Berufsschulen, der Ausverkauf staatlicher Krankenhäuser, Kitagebühren oder Kriterien, die regeln, dass ein Langzeitarbeitsloser bald jede Arbeit als zumutbar empfinden soll: Es ist die gleiche Logik, die dahintersteht. Es ist eine Logik der Verwertungsorientierung, die blind ist für die Probleme unserer Gesellschaft. Es wird nicht nach Sinn und Nutzen von Gesellschaft und Umwelt gefragt, sondern diese sollen allein nach Effizienzkriterien innerhalb marktwirtschaftIicher Strukturen ausrichtet sein ... Es ist abzusehen, dass Grundlagenforschung und kritische Wissenschaft bei dem Spiel der freien, wirtschaftlichen Verwertung von Bildung nur noch ein Klotz am Bein sein werden.
Doch Wissen soll allen Menschen dienen, und es soll die Lebensgrundlage aller verbessern. Wissen verbindet Wissen beseitigt Vorurteile, Wissen baut Ängste ab. Wissen schafft Vertrauen und baut Brücken. Es ist diese Bedeutung von Wissen, die wir der um sich greifenden Ökonomisierung aller gesellschaftlichen Bereiche entgegensetzen wollen. Und es ist das Wissen um diese Ursachen, das uns zusammenbringt‘, um gemeinsam gegen Bildungs- und Sozialabbau auf die Strasse zu gehen.
Diesen Aufruf schickten wir vor zwei Wochen los - in der Hoffnung, ein Zeichen setzen zu können entgegen der herrschenden Politik in Hamburg, in Norddeutschland und darüber hinaus.
Diesen Aufruf unterstützen fünf Hamburger Hochschulen sowie 18 (!) weitere Universitäten aus dem norddeutschen Raum. Das sind viele Unis, um nicht zu sagen - fast alle, denen es möglich war, auch zu mobilisieren und nach Hamburg zu kommen.
Dazu unterstützen die Gewerkschaft für Erziehung und Wissenschaft und die SchülerInnenkammer diesen Aufruf, wobei die Schüler sich - nur - solidarisieren, und nicht zur Demo aufrufen. Warum? Die Ursache sind nicht fehlende Gründe, auf die Strasse zu gehen und den Protest öffentlich zu machen, sondern die gemeinsame Erfahrung vieler Schüler, die bei der Friedensdemonstration der SchülerInnen im März letzten Jahres auf brutalste Weise von der Polizei eingeschüchtert und von der Strasse getrieben wurden. Wasserwerfer und Schlagstockeinsatz gegen SchülerInnen, die für Frieden auf die Strasse gehen - wie tief will die herrschende Politik noch sinken? Hier zeigt der Hamburger Rechtssenat, dass er für eine besonders marktradikale Politik steht und bereit ist, diese mit allen ihm zur Verfügung stehenden Mitteln umzusetzen.
Wir müssen gemeinsam deutlich machen: das Recht auf freie Meinungsäußerung und demonstrative Aktionen darf niemals kriminalisiert und mit Gewalt niedergeschlagen werden! Wir haben ein Recht darauf, unsere Anliegen vorzubringen wo und wie wir es wollen - wenn es unserem Ziele dient: der gemeinsamen Verständigung über die Ursachen, die Entwicklungen und die Personen, die die offene, freie und kritische Gesellschaft zu verdrängen suchen.
Nicht nur Bildungsträger unterstützen uns; so hat der DGB unseren Aufruf übernommen, so hat Verdi uns einen Lautsprecherwagen zur Verfügung gestellt. Dazu kommen verschiedene soziale Einrichtungen und Organisationen wie z.B. das Hamburger Forum für Völkerverständigung und weltweite Abrüstung.
Die Beteiligung der Friedensbewegung macht die Dimension unserer Proteste deutlich. Wir brauchen ein großes Bündnis aller kritischen Kräfte, das handelt nach der Maßgabe: Wissen verbindet und Wissen verändert. Wir müssen Aufklärung betreiben dafür, dass ein Ole-Senat keine zweite Chance erhält. Wir müssen Aufklärung betreiben dafür, dass dem sozialen Kahlschlag auf Bundesebene ein Ende gesetzt wird. Wir müssen Aufklärung betreiben dafür, dass Frieden an die Stelle imperialistischer Politik treten kann.
Deswegen bedauere ich, dass Esther Bejarano, die heute gern hier gewesen wäre, leider verhindert ist. Esther Bejarano, Überlebende des Holocaust, steckt ihre erneute Erfahrung mit staatlicher Repression auf der Demonstration letzte Woche gegen Faschismus noch so in den Knochen, dass sie nicht auf dieser Demo reden wird. Was war passiert? Auf der Demo letzten Samstag ging die Polizei mit ungewöhnlich brutaler Härte vor - sogar für die derzeitigen Hamburger Verhältnisse. Mit Wasserwerfern und Schlagstöcken wurde eine in weitesten Teilen friedliche Demo auseinandergetrieben. Wer nicht rechtzeitig wegkam, wer zu jung oder zu alt war, wurde von hemmungsloser staatlicher Gewalt brutal hinweggefegt. Eine furchtbare gemeinsame Erinnerung.
Dieser Politik des Schlagstocks und der totalen Ausbeutung aller Bereiche qes gesellschaftlichen Lebens verweigern wir unsere Zustimmung. Wir müssen uns allen Versuchen entgegenstellen, uns unsere Freiheit, unseren Mut und unsere Ideale nehmen zu lassen. Und dies schließt das Recht auf freie ,demonstrative Meinungsäußerung ein.
Unser Ziel ist, eine gemeinsame solidarische Bewegung zu erreichen dieser Aktionstag unter dem Motto ‚Wissen verbindet - gemeinsam gegen Bildungsund Sozialabbau‘ soll deutlich machen, dass es möglich und nötig ist, die bestehenden Strukturen zu verändern, notfalls zu durchbrechen. Gegen die Politik der Zurichtung der verschiedenen Gesellschaftsschichten allein in Hinsicht auf ihre ökonomische Verwertbarkeit setzen wir unser gemeinsames Wissen um die eine Ursache. Wir brauchen eine gesellschaftliche Gegenmacht, um unsere Forderungen gegenüber der herrschenden Politik durchzusetzen. Die Forderung nach einer Gesellschaft, in der gemeinsames Wissen, das allen zur Verfügung steht, Grundlage solidarischer, menschlicher Entfaltung ist.
Möge das gemeinsame Wissen Tat werden! Danke!
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