.
FSRK

Studienreform als Gesellschaftspolitik

Aufruf zum „Dies Academicus 2014“ am 4. November 2014

„Die Vertragsstaaten erkennen das Recht eines jeden auf Bildung an. Sie stimmen überein, daß die Bildung auf die volle Entfaltung der menschlichen Persönlichkeit und des Bewußtseins ihrer Würde gerichtet sein und die Achtung vor den Menschenrechten und Grundfreiheiten stärken muß.
Sie stimmen ferner überein, daß die Bildung es jedermann ermöglichen muß, eine nützliche Rolle in einer freien Gesellschaft zu spielen, daß sie Verständnis, Toleranz und Freundschaft unter allen Völkern und allen rassischen, ethnischen und religiösen Gruppen fördern sowie die Tätigkeit der Vereinten Nationen zur Erhaltung des Friedens unterstützen muß.“

UN-Pakt über soziale, wirtschaftliche und kulturelle Rechte, Art.13, Abs.1, 1966.

Durch Arbeit, Bildung und Kultur ist der ganze Mensch. Menschenwürdig ist eine Gesellschaft, die befördert, daß sich alle lebenslang in dieser Weise sinnvoll betätigen und entfalten können.
Der Ausbau des Bildungs- und Weiterbildungssystems, Arbeitszeitverkürzung, sozialer Fortschritt und die Förderung kritischer Kreativität bilden eine Option positiver, demokratischer Gesellschaftsentwicklung, die auch international zivilisierend wirkt. Eine bedarfsgerechte öffentliche Finanzierung der Hochschulen gehört unbedingt dazu.
Wie ist vor diesem Maßstab aber die dauerhafte Kontroverse in der Studienreform über den „Praxisbezug“ im Studium zu verstehen?

Das Deutschen Zentrum für Hochschul- und Wissenschaftsforschung meldet, daß die Studienzufriedenheit gering ist. Eine Erhebung unter 50.000 Studierenden zeigt, daß nicht nur Zeitmangel und schlechte Studienorganisation große Probleme sind. Es fehlt ein inhaltlicher Sinnzusammenhang, ein ernsthafter Forschungsbezug, die Aneignung von wissenschaftlichen Grundlagen sowie eine Vorbereitung auf berufliche Herausforderungen. (DZHW: Projektbericht. Studienqualitätsmotor 2013, Hannover im September 2014.)
Letzteres wird oft als Begründung für ein „kompetenzbasiertes“ Studium zur Zurichtung auf die Erwerbsarbeit instrumentalisiert. Stattdessen aber sollte daraus gefolgert werden, sich kritisch mit der gegenwärtigen Gesellschaft auseinanderzusetzen. Denn es sind vor allem politisch geschaffene Massenerwerbslosigkeit, Prekarität von Arbeitsverhältnissen und ungesicherte soziale Perspektiven, die Druck erzeugen, sich für „den Markt“ zu qualifizieren. „Kompetenzen ohne Bildung - geht das? Ja, leider, weil man Kompetenzen auch ohne Inhalte trainieren kann. Bildung ist etwas anderes. Der sich Bildende sucht die Auseinandersetzung mit dem Fachinhalt, will den Inhalt verstehen, Zusammenhänge erkennen und Neuland entdecken. Kurz – er denkt selber. Das selbständige Denken wird durch Kompetenzen aber weniger gefördert. Hier geht es vielmehr um Anpassung und trainierbare Fertigkeiten,“ schreibt Jochen Krautz, Professor für Didaktik an der Uni Wuppertal in der „Neuen Zürcher Zeitung“ vom 14.7.2014.

Solche technokratische Lebensferne überwinden wir mit der aktuellen Studienreform, weil Lehre, Forschung und Studium gesellschaftliche Tätigkeiten sind, die (neu) auf solidarische Veränderung der Gesellschaft gerichtet werden. Objektiv sind Frieden, umfassende demokratische Kooperation und weltweite Prosperität angesichts des Entwicklungsstandes der heutigen Gesellschaft möglich. Um diese Möglichkeit Wirklichkeit werden zu lassen, muß aber subjektiv durch Rationalität Solidarität verallgemeinert werden.
Dafür ist entscheidend, die Zukunft nicht als schnöde Fortschreibung der Gegenwart zu halten, sondern sich für einen Bruch mit der gesellschaftlichen Irrationalität der Konkurrenz einzusetzen: Für kooperative, befreiende Arbeit an einer humanen, demokratischen und solidarischen Gesellschaft – in den Universitäten und überall!
Es ist also uniweit zu diskutieren, was so eine vertiefte Sinngebung des Studiums ausmachen kann und welche strukturellen Änderungen dafür erforderlich sind. Dafür ist der Dies Academicus unter dem Titel „Den Horizont erweitern“ da.

Alle Studierenden, Mitarbeiter_innen und Hochschullehrer_innen sind herzlich zur Teilnahme und Mitwirkung eingeladen!

http://www.fsrk.de/artikel_353.html [Stand 30. Oktober 2014]


Studienreform als Gesellschaftspolitik