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dokumentiert

Stellungnahme des Allgemeinen Studierendenausschusses der Universität Hamburg vom 2. September 2014

zu: „Strategische Perspektiven für die hamburgischen Hochschulen bis 2020“ der Behörde für Wissenschaft und Forschung

„Was bedeutet es, sich heute auf die Reform von 1969 zu beziehen? (…) Es bedeutet (…) zu erinnern, daß bestimmte Ziele unserer Arbeit unveräußerlich sind. Ziele, die nicht aus wissenschaftlicher Erkenntnis stammen, sondern denen, die Wissenschaft betreiben, die Bahn des Fortschritts weisen. Ziele, die nicht nur für die Universität, sondern für jede Art gesellschaftlicher Arbeit gelten. Ziele, die in der Reform von 1969 zur Sprache kamen: Die Verwirklichung anspruchsloser Gerechtigkeit, die Verwirklichung gewaltloser Freiheit, die Verwirklichung unbedingten Friedens. Einfacher gesagt: science is for action, and action is for friendship (John MacMurray). Mehr Solidarität in diesem Sinne zu bewirken ist auch in Zukunft die Aufgabe.“

Peter Fischer-Appelt bei seiner Kandidatur als Universitätspräsident im Konzil der Universität Hamburg am 10. Januar 1979. In: Peter Fischer-Appelt: Die Universität als Kunstwerk. Beiträge aus sechs Jahrzehnten. Hamburg 2012. S.51f.

Gesellschaftliche Verantwortung von Universität und Wissenschaft

Nach seiner Vorstellungsrede, aus der das Zitat entnommen ist, wurde Peter Fischer-Appelt am 10.Januar

1979 im Konzil der Universität Hamburg als Präsident wiedergewählt. Peter Fischer-Appelt knüpft an den Aufbruch von 1968/69 mit dem bestimmenden Bezugspunkt „Nie wieder Krieg! Nie wieder Faschismus!“ in der Wissenschafts- und Hochschulpolitik an. Heute, 100 Jahre nach dem Beginn des 1. Weltkrieges, 75 Jahre nach dem Beginn des 2. Weltkrieges und sich nun militärisch zuspitzenden Konflikten in der Welt, hat diese damals entwickelte Position mehr denn je Bedeutung. Die Aufgabe der Universität ist es, wissenschaftlich die Welt zu durchdringen, die aktuellen Verhältnisse in ihrer historischen Genese kritisch zu reflektieren, daraus Lösungsansätze und Alternativen zu erarbeiten und diese gesellschaftlich im Sinne der Allgemeinheit, meist gegen Partikularinteressen, durchzusetzen. Aufklärung ist eine mächtige Gegnerin des Militärs und der Kriege. Die Universität muss heute mit dem Wirken für kritische Bildung und Wissenschaft einen Beitrag leisten, den Anfängen zu wehren. Sie hat die Verantwortung, dafür zu wirken, dass kriegerische Zuspitzungen und die (Profit-)Interessen dahinter rechtzeitig erkannt werden, damit dieses verhindert und überwunden werden können. Sie muss friedliche Alternativen zu den Kriegen entwickeln und für diese kämpfen. Sie ist in diesem Sinne gesellschaftliche Akteurin. Die Verantwortung der Hochschulen für die nachhaltige Entwicklung der Gesellschaft beinhaltet auch, in ihrer Arbeit auf allen Gebieten dazu beizutragen, dass die natürlichen Lebensgrundlagen erhalten bleiben. Frieden und ökologische Verantwortung sind nur in Einheit mit der Hervorbringung inter- und intragenerationaler sowie internationaler sozialer Gerechtigkeit zu verwirklichen. Dafür ist eine Strategie nötig.

Ein „Strategiepapier“ ohne Strategie

Vor diesem Hintergrund beinhaltet das vorgelegte Papier „Strategische Perspektiven für die hamburgischen Hochschulen bis 2020“ (im Folgenden: das Papier) keinerlei Strategie für die wissenschaftliche Bearbeitung und Lösungsfindung der aktuell gesellschaftlichen Problemstellungen, wie der ungeheuren sozialen Ungleichheit, der kriegerischen Auseinandersetzungen oder der Umweltzerstörung. Stattdessen unterwirft sich der Hamburgische SPD-Senat weiter der Handelskammer-Politik gemäß der Ansage: Was sich nicht rechnet, soll nicht bleiben. Als Teil dieser Unterwerfung wurde die „unternehmerische Hochschule“, mit Studiengebühren, Entdemokratisierung, Gängelung mit betriebswirtschaftlichen Steuerungselementen, Zerschlagung der Universität als Einheit, Bachelor-Master-Terror, sowie der fortgesetzten und verschärften chronischen Unterfinanzierung und erhöhter Drittmittelabhängigkeit, forciert. Das Prinzip der „unternehmerischen Hochschule“ ist gescheitert.

Der Wirtschaft, der Wirtschaft, der Wirtschaft – Strategielosigkeit!

„Von den Hochschulen wird erwartet, dass sie ein hohes Qualifikationsniveau der ausgebildeten Absolventinnen und Absolventen gewährleisten, Wissen als Grundlage für Innovationen bereitstellen, die Wirtschaft der Region – insbesondere deren Cluster – durch Forschung und Entwicklung stärken und vor allem in Großstädten kreative Szene befördern.“

BWF: „Strategische Perspektiven für die hamburgischen Hochschulen bis 2020“, 17.Juni 2014, S.5

Marktgläubigkeit und Wirtschaftsinteressenhörigkeit sind keine Perspektive. Anstatt von den Partikularinteressen einiger weniger auszugehen, muss sich die Hochschulstrategie am Allgemeinwohl orientieren. Die Frage Cui bono? muss immer wieder neu gestellt, diskutiert und beantwortet werden. Die Entwicklungsvorhaben sind also bestimmt: der Allgemeinheit dienen. Die Universität hat diese Ansprüche in den zurückliegenden Jahren immer wieder herausgearbeitet, diskutiert und artikuliert, unter anderem im Kompetenzzentrum Nachhaltige Universität, im Leitbild der Universität, in Stellungnahmen zur Politik des hamburgischen Senats, in einem aktuell entwickelten Leitbild Lehre etc. Dem entgegen setzt das Papier als „Kriterien“ für die Hochschulen „bedarfsgerechte Weiterentwicklung des Erwerbspersonenpotenzials“, die „Drittmittelfähigkeit“ im „zunehmenden internationalen Wettbewerb“ und somit das bedienen von „Wirtschaftsclustern“. Das führt nur weiter in die gesellschaftliche Krise. Dass die universitären Strategieplanungen keinerlei Erwähnung im Papier finden, macht die Ignoranz des Senats gegenüber der Universität deutlich. Diese müssen aber umfassend beachtet werden und in einer globalen Strategieplanung relevanten Einfluss finden.

Vor diesem Hintergrund weist der AStA der Universität Hamburg das Papier der BWF zurück. Weiter fordert er den hamburgischen Senat und die Behörde für Wissenschaft und Forschung auf wahrzunehmen, was die Universität ist: Eine gesellschaftliche Akteurin, die sich zunehmenden den gesellschaftlichen Fragestellungen annimmt. Dieses Vorhaben muss strukturell unterstützt und befördert werden. Dafür ist eine Strategie hilfreich.

Der grundsätzlichen Kritik folgend, wird diese im Weiteren exemplarisch an Auseinandersetzungsfeldern geübt.

Aufgaben, Ausfinanzierung & Autonomie

„Dabei haben wir immer betont, dass die finanzielle Ausstattung der Hochschulen nur eine Bedingung, aber nicht die alleinige Voraussetzung für die Schaffung oder den Erhalt von exzellenter Forschung ist. Begrenzte öffentliche Mittel können nämlich auch Initiator für eine stärkere Fokussierung und Profilbildung sein. Das wiederum kann dabei helfen, Exzellenz entstehen zu lassen. Dadurch wird es ermöglicht, leichter, besser und enger mit der Wirtschaft zusammenzuarbeiten.“

F.H. Melsheimer, Präses der Handelskammer Hamburg. In: „hamburgerwirtschaft“, Juli 2014

Der Handelskammerchef plaudert direkt heraus, was der Senat versucht zu umschiffen: Die chronische Unterfinanzierung der Hochschulen ist für die erzwungene Zusammenarbeit mit den Partikularinteressen der„Wirtschaft“ politisch gewollt. In dem Papier sollen die Hochschulen die Aufgabe haben, die „Wirtschaft“ mit Erwerbspersonen und „Innovationen“ zu versorgen. Dafür sind vielzählige weitere Aufgaben zu erfüllen, während die zur Verfügung stehenden finanziellen Mittel „planungssicher“ stetig sinken sollen. Die Universität soll aus Sicht des Senats mehr Masterplätze zu Verfügung stellen, besser forschen, schneller forschen, internationaler forschen, die Qualität der Lehre sicherstellen, Drittmittel einwerben, mehr Menschen ohne Abitur ausbilden, familienfreundlicher werden und damit mehr Frauen in den Wissenschaftsbetrieb ziehen, Digitalisierungsstrategien entwickeln, Studienabbruchsgründe untersuchen, Qualitätsmanagement einführen, etc. Die Bestimmung der neuen Aufgaben wird nur von der Standort-Doktrin her verfolgt, statt vom gesellschaftlichen Bedarf auszugehen. Es soll durch verschärfte Konkurrenz um die Finanzmittel statt durch Kooperation innerhalb der Universitäten mehr „Exzellenz“ und „Innovation“ entstehen. Nicht nur an dieser Stelle wird deutlich, wie eng der Senat sich an den Interessen und Vorstellungen der Handelskammer orientiert. Planungssicherheit soll beim Senat bedeuten, planvoll in die gesellschaftliche Katastrophe zu steuern. Geld ist aber genug da. Was Herrn Melsheimer hier verrät ist: der selbstgeschaffene Sachzwang der sog. Schuldenbremse ist das nur vorgeschobene „Argument“ der eigentlich verfolgten Politik, die Hochschulen, wie alle öffentliche Bereiche, in Dienstleistungsunternehmen unter hoher Einflussnahme von Kapitalinteressen umzustrukturieren. Die Schuldenbremse ist also somit ein ideologisches Instrument gegen die berechtigten und artikulierten Entwicklungsvorhaben des „zivilisatorischen Nutzen sozial offener Hochschulen, demokratischer Bildung und unabhängiger Forschung“ (Stellungnahme des Akademischen Senats zum Schreiben der Senatorin für Wissenschaft und Forschung vom 27.Juni 2011). Hochschulautonomie wird unter diesen Bedingungen und der aktuellen Indienstnahme für die Profitmaximierung zu einer Farce. Die Unterordnung der Universität unter die Zwänge der dogmatischen schwarzen Null im Haushalt, als sei diese der alleinige Wert, ist für die Freiheit derfriedlichen Wissenschaft zu überwinden. Hochschulautonomie, also die Freiheit der Wissenschaft, bildet als Artikel 5 des Grundgesetzes eine Einheit mit dem Artikel 1: „Die Würde des Menschen ist unantastbar.“ Sie ist folglich als antifaschistisches Erbe, als Unabhängigkeit von partikular-profitinteressierter Einflussnahme zu begreifen. Wirtschaftliche Drittmittel hingegen sind eben solche partikular-profitinteressierte Einflussnahmen. Die geforderte Steigerung der Einwerbung von Drittmitteln im Papier ist aus diesen Gründen durch die bedarfsdeckende Finanzierung mit öffentlichen Mitteln zurückzudrängen. Gegen die Macht des Marktes und seiner „unsichtbaren Hand“ sind folglich die Demokratisierung der Universität und die Bedeutung des Arguments neu anzustreben. Sich heute neu auf die Reform von 1969 zu beziehen bedeutet also, die Mitglieder der Wissenschaftsinstitution als gleiche Wissenschaftsbetreibende zu begreifen. Die Schäden durch die Entdemokratisierung, wie der Hochschulrat, sind für die Zurückgewinnung der universitären Souveränität zu heilen. Durch die Ausfinanzierung und die Demokratisierung wird dann auch der Boden für eine partnerschaftliche Zusammenarbeit zwischen Universität und Senat geschaffen, die sogar im Papier als Voraussetzung für die erfolgreiche Hochschulentwicklung genannt wird (S.4). Ein wirklich partnerschaftliches Verhältnis macht dann auch jegliche Kontrollinstrumente, wie die sog. Ziel- und Leistungsvereinbarungen und leistungsbezogene Mittelvergabe (Kapitel 9, S.48 ff.) überflüssig.

Erwerbspersonenpotenzial

„Die Kenntnis um die tendenzielle Entwicklung der Anforderungen an das Qualifikationsniveau künftiger Berufsanfänger ermöglicht es, eine Konzeption für eine bedarfsgerechte Weiterentwicklung des Erwerbspersonenpotenzials zu erarbeiten. (…) Ziel muss es sein, auf Basis eines so exakt wie möglich prognostizierten Fachkräftebedarfs für alle Bereiche der Stadt das Gesamtangebot an Studien- und Ausbildungsplätzen so zu gestalten, dass diese Bedarfe abgedeckt werden können.“

BWF: „Strategische Perspektiven für die hamburgischen Hochschulen bis 2020“, S.10f.

„Humankapital degradiert nicht nur Arbeitskräfte in Betrieben, sondern Menschen überhaupt zu nur noch ökonomisch interessanten Größen. (…) Aktueller Anlass ist die Aufnahme des Begriffs in eine offizielle Erklärung der EU, die damit die „Fähigkeiten und Fertigkeiten sowie das Wissen, das in Personen verkörpert ist“, definiert (August 2004).“

Unwort des Jahres, www.unwortdesjahres.net/index.php?id=18

Anstelle von Humankapital „Erwerbspersonenpotenzial“ zu setzen, ist nun aufgrund der entwickelten Kritik an der Ideologie des Humankapitals ehrlicher, denn die angestrebte Konkurrenz zwischen den ArbeitnehmerInnen wird durch „Potenzial“ offen formuliert, aber vor allem zynisch. Das gesellschaftliche Problem ist nicht der Mangel an Fachkräften, sondern der Mangel an Arbeitsplätzen. Die auch politisch zu verantwortende Massenerwerbslosigkeit trägt strukturell dazu bei, die Löhne zu drücken. Durch die angestrebte Schaffung von „Erwerbspersonenpotenzial“ soll diese strukturelle Ausnutzung von existenziellen menschlichen Bedürfnissen als natürlich dargestellt werden. Menschen als ökonomische Waren für die Erfüllung von Kapitalinteressen zu degradieren ist höchst inhuman. Wissenschaft dagegen ist, die Lebensverhältnisse bewusst in Kooperation mit anderen zu durchdringen um sie zu gestalten. Studierende sind Teil dieses Wissenschaftsbetriebs. Die Abkehr von der Humankapitalideologie ist in der aktuellen Krise und der hervorgebrachten Kritik umso zwingender. Das „Potenzial“ zu erhöhen ist darauf gerichtet, die Konkurrenz unter den Arbeitssuchenden zu erhöhen und dem Kapital einen Pool von auszubeutenden Menschen bereitzustellen. Das ist nicht Universität. Stattdessen sind von Senatsseite die gesetzlichen Rahmen für Arbeitszeitverkürzung bei vollem Lohnausgleich auszuschöpfen, um weitere Arbeitsplätze zu schaffen. Für die Durchsetzung kann der Senat sicherlich die Universität um Unterstützung anfragen.

Studium und Lehre

„Unterricht, der keine ernsthafte Komponente der Problemlösung enthält, also die Lösung von wirklich existierenden Problemen und nicht von simulierten zum Zwecke des Unterrichts, ist gar kein Unterricht. Das bedeutet: Problembasierung, Projektunterricht, Ausschwärmen aus der Universität an die Plätze, wo das vorkommt, was auf eine Lösung wartet, was auf die nachwachsende Generation wartet.“

Dieter Lenzen: „Der Universität die Universität zurückgeben“, Impulsvortrag auf dem Dies Academicus an der Universität Hamburg am 23.04.2013

Die Studienreform an der Universität ist vorangetrieben. Mit der Kritik an der Leistungsideologie sind Modulfristen, Leistungskontrollen und Verdichtung im Studium zurückgedrängt worden. Die Bologna-Reform ist Teil der neoliberalen Mission, zu versuchen die Hochschulen in Dienstleistungsunternehmen umzuwandeln und die Studierenden als KundInnen anzusehen: Das ist gescheitert. Weder das beabsichtigte Ziel der Reform – billiges Humankapital dem Arbeitsmarkt bereitzustellen – wurde erreicht, noch die gesellschaftliche Notwendigkeit – die Lösungsfindung für die gesellschaftlichen Probleme – wurde wissenschaftlich bearbeitet. Deswegen ist eine Modifizierung des Bachelor/Master-Prozesses nicht möglich, er muss grundlegend überarbeitet werden. Das Papier beinhaltet keine Überlegung für die Bachelor/Master-Reform, sondern höchstens minimale Korrekturen – trotz teilweise erkannter Probleme. Diese werden unter anderem bei der Überfrachtung der Curricula und einer Erhöhung der Prüfungsdichte angemerkt (S.15). „Lösungsvorschlag“ soll sein, Curricula zu reformieren, die mehr als sechs Prüfungsleistungen in einzelnen Semestern vorsehen oder deren Workload 750-900 Stunden überschreiten (S.16). Zum ersten ist die Problemanalyse falsch, zum zweiten ist der „Lösungsvorschlag“ keiner. Das Deutsche Studentenwerk stellt in der 20. Sozialerhebung fest, dass Studierende der „neuen Studiengänge in einer typischen Semesterwoche nur geringfügig mehr Zeit in das Studium als ihre Kommiliton(inn)en in den traditionellen Studiengängen [investieren]. Tiefergehende Analysen offenbaren jedoch, dass die Unterschiede in der Strukturiertheit, in den Möglichkeiten, das Studium zeitlich und inhaltlich interessengeleitet mitzugestalten, zu Disparitäten bei der Stresswahrnehmung zwischen Studierenden der neuen und der traditionellen Studiengänge führen.“ (Deutsches Studentenwerk, 20.Sozialerhabung, 2012, S.23). Die Problemanalyse stößt auf die zunehmende Entdemokratisierung der neuen Studiengänge, in denen Studierende, getrieben von Modulen, Fristen und Leistungsabfragen, nicht mitgestalten, eingreifen und wissenschaftlich tätig sein können. Die Demokratisierung des Studiums ist also die Lösung: aktuell soll in der universitären Studienreform die gesellschaftliche Verantwortung des Studiums anhand der Wiedereinführung vom Projektstudium neu belebt werden. Im Sinne des forschenden, exemplarischen Lernens an gesellschaftlich relevanten Fragestellung sollen die Studierenden in disziplinärer und interdisziplinärer Spezifik die gesellschaftliche Verantwortung ihres Faches und Studiums praktizieren und sich dabei die Qualifikation des wissenschaftlichen Arbeitens aneignen. Bildung soll der nachhaltigen Entwicklung dienen. Das Studium muss in die Lage versetzen, das System in dem wir uns bewegen zu verstehen, die jetzige Situation (ökologisch, ökonomisch, sozial, politisch-demokratisch, kulturell) einzuschätzen und zu gestalten. Daher sollte die Rolle der Universität selbst auch Gegenstand der Forschung sein. Die Universität muss ein Ort des solidarischen Lernens, Lebens und Forschens werden, an der emanzipatorische und kritische Bildung gelingen kann – darauf ist die Studienreform gerichtet. Um von den simulierten Problemen zum Zwecke des Unterrichts weg zu kommen und um sich den wirklich existierenden Problemen zuzuwenden, müssen sich alle der gesellschaftlichen Verantwortung der Universität bewusst werden. Dies kann nur in demokratischen Strukturen gelingen, in denen die Herrschaft des Arguments wieder neu zur Geltung gebracht wird und an die Stelle der Herrschaft des Marktes rückt. Sich heute auf die Reform von 1969 zu beziehen heißt also, die Bemühungen um den argumentativen Streit weiter zu führen. Das ist wichtig, „wenn Studium sinnvoll, Lehre ertragreich, Forschung fruchtbar, wenn Krankenversorgung hilfreich und Verwaltung förderlich, wenn jedermanns Arbeit für andere nützlich und für ihn selbst befriedigend sein soll.“ (Peter Fischer-Appelt, a.a.O.) Auf diesem Stand der Auseinandersetzung um die Überwindung des restriktiven Bachelor-Master-Systems kann das Papier nur als Angriff gewertet werden und die Ankündigung, „… Die Hochschulen und die Behörde für Wissenschaft und Forschung treffen zur Umsetzung der Reformziele eine gesonderte Vereinbarung…“ (S.17) nur als Drohung. Die im Papier angestrebte Nutzbarmachung des Studiums, um den sogenannten „Fachkräftebedarf“ der Wirtschaft zu bedienen, ist gesellschaftlich enorm schädlich und wissenschaftsfeindlich. Gegen dieses Vorhaben wird die inhaltliche und strukturelle Reform des Bachelor-Master-Systems von der Universität weiter vorangetrieben werden.

Studienplätze

Im Papier wird festgehalten, dass auf Grund der „wachsender Studierneigung“, dem „wachsendem Akademisierungsgrad des Arbeitsmarktes“, der „Vielfalt der Studierenden“ und dem „lebenslangem Lernen“ (S.9f.) eine stetige Nachfrage und eine gesellschaftliche Notwendigkeit von ausreichenden Studienplätzen besteht. Das Studienplatzangebot zu kürzen ist, auch vor diesem Hintergrund, gesellschaftlich falsch. Maßstäbe wie humane Entwicklung der Gesellschaft, friedliche Konfliktlösung und soziale Gerechtigkeit erfordern einen sozialen Zugang zur Bildung an den Hochschulen. Der Senat problematisiert in seinem Papier, dass Bildungschancen in Deutschland wie auch in Hamburg immer noch stark von der sozialen Herkunft abhängig sind (S.9). Die logische Konsequenz ist, der erkämpften Versprechung des Senats, jedem weiter studierwilligen Bachelor-Absolventen rechnerisch einen Master-Studienplatz bereit zu stellen (S.13), Taten in Form von ausreichenden Mitteln folgen zu lassen. Die Selektionsschranke nach dem staatsorganisierten Studienabbruch nach 3 Jahren (Bachelor) ist für Studieren jenseits von Konkurrenz- und Ellenbogenverhalten dringend erforderlich. Das kann niemand mehr leugnen. Die geplanten Kürzungen an der Universität hätten logisch zur Folge, dass die Anzahl der ohnehin schon verringerten AnfängerInnenplätze für die zu schaffenden Masterplätze weiter sinken müsste. Angesichts der gesellschaftlich zu lösenden Aufgaben, sowie der Überwindung von sozialer Selektion, ist diese (Haushalts-)Politik gesellschaftlich enorm schädlich. Die Abkehr hin zur Aufstockung der Studienplätze (im Bachelor und Master) ist durch die Umverteilung des gesellschaftlichen Reichtums von oben nach unten zu realisieren. Was bedeutet es also sich heute auf die Reform von 1969 zu beziehen? Studieren als gesellschaftlich notwendig wissenschaftliche Tätigkeiten entgegen der individuellen Herausbildung von Humankapital zu begreifen, und die dafür notwendigen Strukturen und Mittel zur Verfügung zu stellen. Die Universität dient nicht sich selbst, sie ist für alle.

Solidarität und soziale Lage der Unimitglieder

„Ein Erfolg des bisherigen „Kampfes um die Zukunft“ ist die Herausbildung einer neuen Kultur der Solidarität.“

Stellungnahme des Akademischen Senats zur „Vereinbarung des Senats der Freien und Hansestadt Hamburg und des Präsidiums der Universität Hamburg über die Universitätsentwicklung 2013 – 2020“ vom 19.01.2012

Die gruppenübergreifende Verständigung über die Anforderungen an die Universität und ihre berechtigten Ansprüche auf ausreichend öffentliche Finanzmittel im „Kampf um die Zukunft“ hat eine neue Qualität der Solidarität unter den Unimitgliedern erwirkt. Dies hat dazu beigetragen, dass sich Personalräte, Gewerkschaften und Universitätskanzler mit der BWF auf einen „Code of Conduct“ verständigt haben. Der Senat degradiert im Papier diese Vereinbarung, welche u.a. gegen die Prekarität von Beschäftigungsverhältnissen gerichtet ist, als Handlungsempfehlungen für die Hochschulen (S.43). Zwar wird im Papier großspurig angekündigt gegen prekäre Beschäftigungen an den Hochschulen Maßnahmen zu ergreifen (S.42), danach folgt aber weiter nichts. Über 80% der MitarbeiterInnen der Universität, die nicht zu der Professorenschaft gehören, befinden sich aktuell in prekären Beschäftigungsverhältnissen. Vor diesem Hintergrund wird die „Sicherung und Weiterentwicklung der Qualität der Lehre“ (S.17) zu einem Feigenblatt. Um von dem viel zu kurzen und unzureichenden Kapitel zu „fairen Arbeitsbedingungen für gute Wissenschaft“ (Kapitel 7, S.42) abzulenken, soll die Lehre durch Kontrolle, Management und „Innovationen“ (S.17) verbessert werden. Das ist perspektivlos. Prekäre Beschäftigungsverhältnisse müssen zu Gunsten der Einheit von Forschung und Lehre, der kontinuierlichen Lehr-/Lern-Kooperation und der Perspektivschaffung weichen. Eine Aufstockung der öffentlichen Mittel ist die logische Folge.

Für die Wahrheitsfindung und die Herausbildung von humanen Verhältnissen in und durch Wissenschaft vor den gesellschaftlichen Entwicklungsfragen Aller müssen die Wissenschaftssubjekte frei von sozialer Not, Unsicherheit und Perspektivlosigkeit sein. Das gilt für alle Mitarbeiter wie auch für die Studierenden. Daraus folgt, dass der Verwaltungsbeitrag abzuschaffen ist und das Semesterticket bzw. der ganze ÖPNV sozialverträglich zu gestaltet werden muss. Auf Bundesebene ist daraufhin zu wirken, dass das BAföG wieder in einen elternunabhängigen Vollzuschuss umgewandelt wird. Dies alles erfordert Mehrausgaben!

Die exemplarische Kritik zeigt, dass eine wirkliche Strategie für die Hochschulentwicklung im Gesamt notwendig ist.

Eine Strategie aus der Universität

Was bedeutet es also, sich heute auf die Reform von 1969 zu beziehen? Die Strategie für die Hamburgischer Hochschulen ist von ihrem Ziel her zu bestimmen: Die Verwirklichung anspruchsloser Gerechtigkeit, die Verwirklichung gewaltloser Freiheit, die Verwirklichung unbedingten Friedens. Dafür ist auch heute, in der weltweiten Wirtschaftskrise, die gleiche Würde aller Menschen ein sinnvoller Maßstab der nötigen Veränderung. Die Universität hat die Aufgabe und damit das Ziel, zur erhöhten Humanisierung der Verhältnisse zu wirken. Der Muff der Handelskammer-Politik ist für die Entfaltung von kritischer Wissenschaft, Bildung und Forschung zu lüften. Der Senat hat die Aufgabe, unterstützend durch höhere finanzielle Ausstattung, für Demokratisierung und Gewährung von Freiheit für friedliche Wissenschaft zu sorgen. Das Ziel zu verfolgen, sich den Profitinteressen zu unterwerfen, ist keine Strategie.

Kritische Wissenschaft ist widerständig

„Die Universität wendet sich damit [Kampf um die Zukunft 2011] verstärkt ihrer gesellschaftlichen Verantwortung für eine friedliche, demokratische, sozial und ökologisch nachhaltige Entwicklung zu. Forschung und Lehre sollen zum gestaltenden Eingreifen in die Gesellschaft ermutigen und einer global menschenwürdigen Zivilisation dienen.“

Stellungnahme des Akademischen Senats zur „Vereinbarung des Senats der Freien und Hansestadt Hamburg und des Präsidiums der Universität Hamburg über die Universitätsentwicklung 2013 – 2020“ vom 19.01.2012

Das Papier und damit die darin gefasste Politik trifft innerhalb der Universität auf dieses Verständnis von Wissenschaft und Universität, wie es im AS-Beschluss zum Ausdruck gebracht wurde. Es trifft auf eine Studienreform, die es darauf anlegt, die verschärften Konkurrenzverhältnisse im Bachelor-Master-System für solidarisches Lernen und Lehren zurückzudrängen. Es trifft auf weitreichende Demokratisierungsvorhaben innerhalb der Universität, die in den zahlreichen Stellungnahmen der Uni-Gremien zur Hochschulgesetznovelle artikuliert worden sind. Es trifft auf Widerstand!

Die falsche Behauptung, das Papier sei im Dialog mit den Hochschulen entstanden (S.6), kann auch nicht darüber hinwegtäuschen, dass ein Blick allein in die jüngere Geschichte zeigt, dass Top-Down-Entscheidungen wissenschafts- und universitätsfeindlich und damit zum Scheitern verurteilt sind: Die Kurzzeit-Präsidentin Monika Auweter-Kurtz („Raketen-Moni“) ist durch massenhafte Beteiligung an den Protesten gegen ihre Präsidentschaft „gegangen worden“. Die Universität bleibt nach weitgreifender Auseinandersetzung im Grindel-Bezirk und wird nicht im Hafen versenkt. Das Hamburgische Hochschulgesetz musste novelliert werden, auch wenn dies bisher nicht ausreichend geschehen ist.

Forderungen

Der AStA der Universität Hamburg fordert die Behörde auf, das Papier zurück zu nehmen und in echter Zusammenarbeit mit den Hochschulmitgliedern eine echte Strategie zu erarbeiten; Maßstäbe dafür sind gesetzt.

Die öffentlichen Mittel für die Universität Hamburg sind erheblich zu erhöhen. Dafür hat der Senat die Aufgabe eine Strategie zu entwickeln. Vor dem Hintergrund der genommenen Kritik am Papier fordert der AStA der Universität Hamburg folgendes:

  • Einführung einer Zivilklausel im hamburgischen Hochschulgesetz zur Ermöglichung von ziviler, friedlicher Wissenschaft.
  • Die bedarfsdeckende Ausfinanzierung der Hamburger Hochschulen durch Lösung des Schuldenbremsendogmas und der Umverteilung von oben nach unten. Insbesondere stehen den Hochschulen aktuell die frei gewordenen BAföG-Mittel zu. Der Verzicht auf die sogenannten BaföG-Millionen ist für die Hochschulen inakzeptabel.
  • Die Wahrung der Hochschulautonomie, frei von Drittmitteldruck und Konkurrenz, damit die Universität sich wieder zu einem Ort des solidarischen Lernens, Lehrens, Forschens und Lebens in gesellschaftlicher Verantwortung entwickeln kann.
  • Die grundlegende Demokratisierung der Hamburger Hochschulen, folglich eine Novellierung des aktuellen Hochschulgesetz.
  • Die Verbesserung der sozialen Lage Aller: BAföG für Alle! Gute Arbeitsbedingungen für alle!
  • Die strukturelle und finanzielle Ermöglichung der Überwindung des Bachelor-Master-Systems.
  • Eine Strategieplanung für die gerechte, soziale Verteilung des gesellschaftlichen Reichtums.
http://www.fsrk.de/artikel_347.html [Stand 2. September 2014]