Liebe Kommilitonen und Kommilitoninnen, liebe Mitdiskutierende,
nun wollen wir aus studentischer Sicht Bilanz ziehen von einem Jahr intensivierter Studienreform. Zu allererst schildern wir die neue Grundlage, auf der wir uns heute bewegen. Dann folgt die Verortung der Universität in der Gesellschaft und den daraus erwachsenden Aufgaben einer Hochschule. Welche Bedeutung das für die Studienreform hat, wird im Folgenden erläutert. Anhand der gesellschaftlichen Verantwortung der Universität möchte ich kurz darstellen, was daraus für die Bildung innerhalb dieser folgen muss.
Dann übergebe ich an Mena Winkler, die umreißt, was geschehen ist, was erreicht wurde und worauf es nun ankommt.
Vor fast genau einem Jahr kamen wir auf dem letzten Dies Academicus zusammen, um über die Frage „Wie wollen wir in Hamburg studieren?“ zu diskutieren. Wir diskutierten im Spannungsfeld zwischen Studierbarkeit und grundlegender Reform der Bachelor-Master-Studiengänge. In einer seiner letzten Sitzung stellte der Akademische Senat in Kritik an der Politik der Landesregierung fest, dass er
„[…] bedauert, daß die Bemühungen der Universität in der Studienreform reduziert werden auf das Ziel der „besseren Studierbarkeit“. Daß ein Studium „studierbar“ ist, ist banal und das absolute Minimum; daß dieser Maßstab in Bezug auf die Bologna-Studiengänge gehäuft Anwendung findet, sollte nachdenklich stimmen.
Die Diskussion und Umsetzung der Studienreform an der Universität zielt auf den Ausbau der Möglichkeiten eigenständiger Studiengestaltung durch die Studierenden sowie die Stärkung der Persönlichkeitsbildung und der Reflexion gesellschaftlicher Verantwortung der Wissenschaften. Die Behörde möge sich überlegen, wie dies in Kennziffern zu fassen ist.“ [1]
Niemand kommt mehr daran vorbei, die gesellschaftliche Verantwortung der Wissenschaft zu thematisieren und kritische Bewusstseinsbildung im Studium verankern zu müssen. Selbst von Arbeitgeberseite wird aktuell gefordert, Platz für kritische Reflektion im Studium zu schaffen. Dies zeigt, einerseits wie weitreichend und stark wir mit unserer Kritik an den Humankapital-Studiengängen und andererseits wie perspektivlos die Herrschenden sind.
Bologna ist gescheitert
Bologna ist wirklich grundlegenden gescheitert! Was ich im Folgenden an drei Maßstäben kurz verdeutlichen will. Es wurde nicht erreicht, was behauptet wurde. Es wurde nicht erreicht, was beabsichtigt war. Und es wurde nicht erreicht, was gesellschaftlich notwendig ist.
Was wurde behauptet? Die Bologna-Erklärung behauptet unter anderem, größere Mobilität im sogenannten europäischen Hochschulraum zu schaffen, bessere Vergleichbarkeit zwischen den Studierenden und Absolvent*Innen zu erreichen und den interkulturellen Austausch fördern zu wollen. Der Bologna-Prozess hat uns erneut gelehrt: Konkurrenz schafft keine Kooperation. In der beabsichtigten Konkurrenz zwischen den Hochschulen („Wer bekommt die Drittmittel?“) und zwischen den Studierenden: („Wer bekommt den Masterplatz?“) ist der sogenannte Austausch nur eine Farce.
Was wurde beabsichtigt? Die Bologna-Reform beabsichtigte billige Absolvent*Innen auf den Arbeitsmarkt zu werfen, die dennoch die Fähigkeiten und Fertigkeiten mitbringen, die der Maximierung des Profits zuträglich sind. Die neuen Studiengänge stehen schon lange in der Kritik. Nun wird auch von Arbeitgeberseite beklagt, man könne mit den Bachelor-Absolvent*Innen kaum etwas anfangen. Die doppelte Dysfunktionalität wird hier deutlich: Weder was beabsichtigt war, wurde erreicht, noch was eigentlich gesellschaftlich notwendig ist, wurde wissenschaftlich bearbeitet.
In der aktuell zugespitzten Krise wird zunehmend deutlich, vor welche Fragen eine Universität gestellt ist und in welcher Verantwortung sie steht, diese wissenschaftlich zu durchdringen, um Lösungsansätze zu erarbeiten: Wie schaffen wir gewaltfreie Konfliktlösung in der ganzen Welt? Wie lassen sich demokratische Strukturen gegen die Macht des Marktes überall entwickeln? Wie lösen wir das Problem der schreienden sozialen Ungleichheit? Wie leben wir auf der Erde ohne unsere Umgebung permanent zu zerstören? Wie produzieren und verteilen wir die Nahrungsmittel so, dass niemand mehr an Hunger sterben muss?
Uni in der Gesellschaft
Alles schreit nach Lösungen und Alternativen, mit denen es wirklich allen Menschen besser geht. Wer sollte diese erarbeiten? Die Universität als öffentlich finanzierte wissenschaftliche Institution dient eigentlich dazu, die Verhältnisse analytisch zu durchdringen, die aktuelle Lage kritisch zu reflektieren und daraus Lösungsansätze zu erarbeiten. Um sie in diese Lage zu versetzen, muss die Universität ihrer gesellschaftlichen Verantwortung zu einer progressiven Entwicklung der Gesellschaft beizutragen, stärker gerecht werden.
Dafür muss sich, neben der Ausfinanzierung, in der Studienstruktur und im Verständnis von Universität noch vieles ändern. Das sollten wir heute weiter diskutieren. Für die notwendige Neubelebung der Bildung durch Wissenschaft muss ein Bruch mit der Ökonomisierung, Hierarchisierung und der restriktiven Formalisierung der Hochschulen vollzogen werden. Die Studienreform muss sich also daran messen lassen, wie sehr sie mit dem Verwertungsinteresse bricht und auf das Lösen der exemplarisch genannten Probleme zielt.
Die Universitäten sind seit jeher hart umkämpfte Einrichtungen. Immer wieder neu muss also die Frage gestellt, diskutiert und beantwortet werden: Cui bono? Als Bildungseinrichtung muss die Universität den Zweck haben der allgemeinen Aufhebung von Herrschaft zu dienen, vor allem beim aktuellen Widerspruch zugleich Mittel und Arbeitskräfte für die Reproduktion der Herrschaft herzustellen. Die Ausweitung des Gesetzes des warenförmigen Tauschs auf alles, Wissen, Sprache, Lebendes, Menschliches, inklusive Körper und Seele zeigt an, dass wir es heute, mit einer neuen Art der Barbarei zu tun haben, wie Plínio Prado auf der Konferenz „Schöne neue Bildung“ feststellte [2]. Die aktuelle Lage erfordert umso mehr Parteilichkeit der Universität, der Wissenschaft und auch der Studienreform für die Menschen, für das menschliche Interesse, um diese Barbarei zu überwinden, sodass wir gegen die egoistische Vorteilsnahme eine solidarische Produktivität entwickeln können.
Bildung durch Wissenschaft: Was bedeutet Lernen?
Mit der Einführung der Bachelor-Master-Studiengänge wurde versucht, die Universitäten weg von einer Bildungs-, hin zu einer Ausbildungsstätte umzumodellieren, die Bildung mündiger Menschen zur verwertungskonformen Ausbildung zu degradieren. Dass die Verwertungsorientierung mindestens in der Krise steckt, haben alle erkannt. Denn Lernen heißt, seine eigenen Lebensverhältnisse bewusst in Kooperation mit anderen zu gestalten. Der Widerspruch in der aktuellen Studienstruktur wird überall deutlich. Hier soll Lernen heißen, sich zu unterwerfen und seine eigene Unmündigkeit wissenschaftlich zu reproduzieren.
Nun geht es erneut darum, (pädagogische) Verhältnisse zu etablieren, die es tatsächlich ermöglichen, wie Antonio Gramsci schreibt,
„die eigene Weltauffassung bewusst und kritisch auszuarbeiten und folglich […], an der Hervorbringung der Weltgeschichte aktiv teilzunehmen, Führer seiner selbst zu sein und sich nicht einfach passiv und hinterrücks der eigenen Persönlichkeit von außen den Stempel aufdrücken zu lassen“ [3].
Je mehr dies unternommen wird, desto eher können die Möglichkeiten genutzt werden, die Verhältnisse zu verbessern. Je mehr Menschen erkennen, dass der Blick auf die Welt, die eigene Rolle darin und die soziale Verwandtschaft der aller meisten maßgebliche Folgen für das Handeln haben und dementsprechende Praxis entwickeln, desto eher kann Universität wieder ein Ort der Bildung werden. „Bildung ist nicht eine herzustellende „Gebildetheit“ als elitärer Zustand in einer von Ungleichheit bestimmten Welt. Bildung ist der bewusste und geplante fortdauernde Prozess des solidarischen Lernens zur Erweiterung der Möglichkeiten, gemeinsam die Lebensverhältnisse für alle würdig zu gestalten“ [4], wie es in der Abschlusserklärung des studentischen Studienreformtages an der Uni Hamburg vom 13. April 2013 festgehalten wurde.
Denn, wie Karl Marx formulierte [5], sind Menschen nicht allein Produkte der Umstände und der Erziehung: Die Umstände werden von den Menschen verändert und der Erzieher muss selbst erzogen werden. Dafür muss überall das Verständnis von der egalitären Universität, in der alle Lernende sind, vertreten werden. Das bedeutet über das Lehren und Lernen von Bestehenden hinauszureichen und im reflexiven Prozess neue Erkenntnisse zu produzieren. Damit eingreifendes Denken entstehen kann.
Das sind alles Maßstäbe für die weiterzuführende Studienreform. Das bedeutet, nicht mit Hilfe irgendwelcher pädagogischen Tricks den Menschen Befreiung als Lernziel aufzunötigen, sondern an ihre Interessen anzuschließen, sie kritisch auszuarbeiten und zu erweitern.
Was ist geschehen?
In den letzten Jahren hat sich gezeigt, dass die Universität bereits ihre gesellschaftliche Verantwortung zu einer progressiven Entwicklung der Gesellschaft wieder verstärkt wahrnimmt. Mit der zunehmenden neoliberalen Zurichtung der Uni wurde viel zerstört. Immer mehr wird dieser Zurichtung eine positive Orientierung an zum Beispiel der sozialen Öffnung, Verwirklichung von Frieden, Umsetzung einer umfassenden Demokratisierung von Uni und Gesellschaft und eine nachhaltige Entwicklung entgegengesetzt. So wurde mit der Abschaffung eines Großteils der Studiengebühren eine soziale Hürde überwunden, die Uni konnte an ihrem historisch gewachsenen Ort verbleiben und mit der Absetzung einer reaktionären Kurzzeit-Präsidentin unter breiter Aneignung des Uni-Leitbildes und der zivilisatorischen Bedeutung von Bildung und Wissenschaft wurde der Anstoß für eine breite Re-Demokratisierung der Hochschulen gegeben.
Diese Beispiele zeigen, dass eine Orientierung auf die Verwirklichung einer gesellschaftlich eingreifenden Uni wirksam ist. Mit dieser oppositionellen Haltung wurde viel zum Besseren verändert. Nur in solidarischer demokratischer Auseinandersetzung im munteren Disput, kann die Uni ihrer gesellschaftlichen Verantwortung nachkommen. Mit den geführten Kämpfen wurde mehr und mehr die Entwicklung einer entsprechenden Kultur der Solidarität und die Kultivierung des Streits angestoßen. So wurde der Kampf gegen die Schuldenbremse in gemeinsamer Bemühung geführt und in der Stadt verallgemeinert. Ein Überwinden der Schuldenbremse ist nur möglich, wenn man sich nicht gegeneinander ausspielen lässt, sondern Forderungen als gemeinsame erkennt und artikuliert, auch über den Bildungsbereich hinaus.
Eine solche Haltung ist auch für die Studienreform zentral. Bereits vor und mit der Einführung der Ba/Ma-Studiengänge gab es von allen Seiten viel Protest und Kritik. Mit am stärksten und kontinuierlichsten war der Widerstand sicherlich von Seiten der Studierenden. Ein wichtiger Punkt in der Entwicklung der Studienreform bildet hierbei die Konferenz „Schöne neue Bildung“ der EPB-Fakultät. Diese hat als erste eine intensive Auseinandersetzung aller Mitglieder mit der Studienreform in gemeinsamer Diskussionen realisiert. Es wurden gemeinsame Ansprüche an Bildung wissenschaftlich fundiert und nötiger Handlungsbedarf abgeleitet. Auf Grundlage dieses Modells wurde dann der erste Dies Academicus zur Studienreform erkämpft. Dieser wurde nach dem Vorbild der Konferenz gestaltet und auf das Zusammenkommen und den gemeinsamen Austausch ausgelegt. So gab es ein erstes uniweites Zusammenkommen zur Studienreform. Eine Intensivierung der Diskussionen um die Studienreform war gesetzt und wirkte auch in die Fakultäten. Es konnte die Position entwickelt werden, dass eine Veränderung unumgänglich ist. Niemand wollte an dem Bestehenden festhalten. Dies ist nun ein Jahr her.
Was wurde (seitdem) erreicht?
Die auf dem letzten Dies Academicus intensivierte Studienreform wurde in den Fakultäten verstärkt weiterentwickelt. Durch Auseinandersetzungen darüber, was Wissenschaft und Bildung ist und an welchem Menschenbild sich die Studienreform orientieren muss, wurde in einem ersten Schritt der Abbau von Restriktionen und Hierarchien diskutiert und begonnen zu realisieren. So wurde zum Beispiel begonnen, den Anwesenheitszwang zu lockern, die Modulfristen abzuschaffen und Prüfungslasten zu verringern. Art und Inhalte der Diskussionen, sowie ihre Ergebnisse waren hierbei in verschiedenen Fakultäten sehr unterschiedlich. In Teilen der Uni wurden kaum Restriktionen abgebaut oder sogar versucht Restriktionen weiter auszubauen. Es werden dem beschriebenen Menschenbild gegenläufige Inhalte vertreten. Eine Konkurrenzideologie wird explizit als Grundlage der Studienstruktur und der Inhaltlichen Ausrichtung von „Wissenschaft“ reproduziert und dementsprechend ein Aussortieren von Studierenden, welche dem Leistungsdruck nicht gerecht werden befürwortet. Ein Fehlen Institutionalisierter Gremien als Ort der Diskussion um die Studienreform, erschwerte ein gemeinsames Weiterkommen in der Studienreform entgegen einer Konkurrenzideologie. Eine Kultivierung des Streits und Entwicklung von Solidarität als Gegensatz zur herrschenden Konkurrenzkultur blieb auf der Strecke. Es zeigte sich, dass eine Studienreform nur gelingt, wo mit der Konkurrenzideologie und der Konkurrenzkultur gebrochen wird.
Wo dies in Teilen gelang ermöglichte die Verringerung von Restriktionen mit ersten Änderungen im Studienalltag dem Ziel einer gemeinwohlorientierten Bildung näher zu kommen. Es sollte grundlegend Raum geschaffen werden, damit kritische Sichtweisen und daraus abgeleitetes gesellschaftliches Eingreifen wieder im Studium verankert werden können. Auf der ABK-Klausur wurde festgestellt, dass Bildung in der aktuellen Praxis des Studiums – dem Bachelor/Master-System – kaum noch stattfindet, da mit Muße und Kooperation zur kritischen Reflexion entscheidende Faktoren von Bildung fehlen. Mit der Abschaffung so mancher Restriktionen konnte ein erster Schritt unternommen werden, um Bildung im Sinne von Selbstbildung wieder im Studium zu verankern. In diesem Jahr gilt es diesen Weg weiter zu gehen: allgemeine Bildung muss grundlegendes Prinzip von Studium werden. Statt affirmativer Berufsorientierung soll kritischer Praxisbezug realisiert werden. Hierfür kann der jetzige ABK-Bereich übergangsweise als eine Art Labor genutzt werden. Auf dieser Grundlage geht es in diesem Jahr weiter mit der Entwicklung der Studienreform.
Wie beschrieben steht außer Frage, dass kritischer Gesellschaftsbezug wieder im Studium verankert werden soll. Allerdings stehen sich hier zwei Positionen gegenüber: auf der einen Seite soll diese Verankerung von kritischer allgemeiner Bildung neben einer Berufsorientierung als Ausrichtung auf Verwertbarkeit stattfinden. Auf der anderen Seite prägt kritische Bildung als grundlegendes Prinzip das ganze Studium. Diese Pole der aktuellen Auseinandersetzung will ich anhand zweier Zitate erläutern:
Auf der 7. Bologna-Folgekonferenz in Bukarest wurde formuliert:
„Europa erlebt eine Wirtschafts- und Finanzkrise mit nachteiligen Auswirkungen auf die Gesellschaft. Im Hochschulbereich wirkt sich die Krise auf die Verfügbarkeit entsprechender Mittel aus und führt zu unsicheren Beschäftigungsaussichten für Absolventinnen und Absolventen. Die Hochschulbildung spielt eine wichtige Rolle bei der Lösung unserer derzeitigen Probleme. Starke und verantwortliche Hochschulsysteme sind die Basis für lebendige Wissensgesellschaften. Mehr denn je sollten die Hochschulen im Zentrum unserer Bemühungen zur Überwindung der Krise stehen. In diesem Sinne verpflichten wir uns, als Investition in unsere Zukunft den Hochschulen die größtmögliche öffentliche Förderung zu sichern und hierfür auch andere geeignete Quellen zu nutzen. Wir werden unsere Hochschulen bei der Ausbildung kreativer, innovativer, kritisch denkender und verantwortungsbewusster Absolventinnen und Absolventen unterstützen, die wir für wirtschaftliches Wachstum und die nachhaltige Entwicklung unserer Demokratien brauchen.“ [6]
Diese Erklärung unterscheidet sich entscheidend von der ersten Bologna-Erklärung. Erstmalig fasst sie neben einer Bedeutung von Bildung für wirtschaftlichen Wachstum die Lösung gesellschaftlicher Probleme als Aufgabe von Universität. Bildung wird als zentraler Faktor für die Lösung der aktuellen Krise herausgestellt. Neben einer Berufsorientierung wurde so die Möglichkeit der Lösung gesellschaftlicher Probleme und Entwicklung von Handlungsmöglichkeiten von Bildung betont. Eine reine affirmative Berufsorientierung sei somit nicht ausreichend. Dies ist nicht zuletzt ein Erfolg des Einflusses kritischer Öffentlichkeit. Auch die Diskussionen in Hamburg haben ihren Teil beigetragen. Dennoch bleibt der Dualismus von humanistischer Produktion und Kultur und der Barbarei der Märkte unangetastet. Kritische, humanistische Bildung und Verwertungsorientierung sollen nebeneinander bestehen.
Demgegenüber schreiben Fischer-Appelt und Berger in ihrem Kreuznacher Hochschulkonzept:
„Wissenschaft ist die gemeinsame Anstrengung von Menschen, das Verhältnis aller Menschen zur natürlichen und sozialen Welt zum Zwecke der vernünftigen Einrichtung der Menschheit unter die Form universaler Rationalität zu bringen. Anders gewendet: Wissenschaft wird als solidarische Bemühung von Menschen in methodisch ausgewiesener und zielbewußter Erkenntnisarbeit gegen die Irrationalität der natürlichen und gesellschaftlichen Verhältnisse unternommen, damit die Erde als der einheitlich gemeinsame Lebensraum einer brüderlichen Menschheit in Frieden bewohnt und mit Vernunft genutzt wird.“ [7]
Appelt und Berger fassen ein stärker gesellschaftsorientiertes Verständnis von Wissenschaft. Gesellschaftliche Problemlösung und Veränderung ist hier das zentrale Moment der Wissenschaft. Diese Position von Appelt und Berger ist Ausdruck des Aufbruchs von 68. Auch wenn sie in dieser Zeit entwickelt wurde, vertreten wir sie heute immer noch bzw erneut (verstärkt) gegen das Ba/Ma-System. Mit der Einführung der Ba/Ma-Studiengänge als Teil der neoliberalen Zurichtung des Bildungssystems wurde die Universität von dem von Appelt und Berger benannten Anspruch wegentwickelt. Mit der Haltung der Studienreform die gesellschaftliche Verantwortung der Uni wieder im Studium zu verankern, bekommt diese Positionierung verstärkt Relevanz. Hierbei ist es sinnvoll an bereits Entwickeltes anzuknüpfen, um Bestehendes weiterzuentwickeln.
Worauf kommt es nun an?
Auf dieser Grundlage gilt es die eigenen Ansprüche zu verorten, zur Diskussion zu stellen und so die Studienreform weiter zu entwickeln. Entscheidend ist Positionen offen zu vertreten und in gemeinsamer Diskussion zu entwickeln. So schön das Wort Pluralität im ersten Moment klingt, ist in dem letzten Jahr doch deutlich geworden, dass die Entwicklung einer gemeinsamen Grundlinie unumgänglich ist. Dies heißt auch Bestehendes in Frage zu stellen und als falsch Erkanntes abzuschaffen, statt ihm vermeintlich neutral gegenüber zu stehen. Denn auch eine Neutralität ist letztlich parteiergreifend, parteiergreifend für das Bestehende. Daher gilt es die Konfliktfähigkeit weiter zu entwickeln, um gemeinsam in Diskussion voranzukommen. Ihre gesellschaftliche Verantwortung sollte die Uni auch in Bezug auf die Studienreform verstärkt wahrnehmen. Dies heißt auch entsprechende Bedingungen für eine Studienreform zu erstreiten. Der Kampf gegen die Schuldenbremse muss gemeinsam weitergeführt werden. Denn, wie auch an den Seiten an der Empore benannt ist [8]: Die Schuldenbremse erweist sich auf allen Ebenen als eine Emanzipationsbremse. Und nackt lässt sich keine Studienreform machen. Hierbei sollten wir keine Angst haben Position zu beziehen. Schreiten wir mutig voran, für echte Verbesserungen!
In diesem Sinne: auf einen gelingenden Dies Academicus 2013!
[1] Beschluss des Akademischen Senat der Universität Hamburg, 07.03.13, Stellungnahme zu den Ziel- und Leistungsvereinbarung 2013/14. Abgerufen am 22.04.2013 unter: http://www.uni-hamburg.de/uhh/organisation/gremien/akademischer-senat/protokolle/706Sitzung.pdf. S. 22.
[2] Plínio W. Prado Jr.: Das Prinzip Universität als unbedingtes Recht auf Kritik. In: Ingrid Lohmann et al.(Hrsg.): Schöne neue Bildung? Zur Kritik der Universität der Gegenwart. Bielefeld 2011. S. 130.
[3] Antonio Gramsci: Gefängnishefte. Kritische Gesamtausgabe, Hrsg. von Klaus Bochmann und Wolfgang
Fritz Haug. Hamburg 1991ff.[1929ff.]. S. 97.
[4] Vgl. Abschlusserklärung des Studienreformtages an der Universität Hamburg vom 13. April 2013, organisiert von der FSRK, unterstützt vom AStA.
[5] Vgl. Karl Marx: Dritte These über Feuerbach. In: Marx-Engels Werke, Band 3. Berlin 1969[1845]. S. 5.
[6] Bukarest-Erklärung der Hochschulbildungsminister, entstanden auf der 7. Bologna-Folgekonferenz am 26. und 27. April 2012. Abgerufen am 22.04.2013 unter: http://www.bmbf.de/pubRD/Bukarest-Kommunique_2012.pdf
[7] Peter Fischer-Appelt/Johannes Berger: Kreuznacher Hochschulkonzept. Reformziele der Bundesassistentenkonferenz (Schriften der BAK 1). 2. Aufl. Bonn 1968; in: Peter Fischer-Appelt.: Die Universität als Kunstwerk. Beiträge aus sechs Jahrzenten. Hamburg 2012. S. 25.
[8] An der Empore des Hörsaals hingen Transparente mit den Aufschriften „Schuldenbremse = Emanzipationsbremse“ und „Unter den Talaren nackt vor lauter Sparen“.