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FSRK Thesenpapier:

Studienreform – wirklich: für Emanzipation

„Wissenschaft wird als solidarische Bemühung von Menschen in methodisch ausgewiesener und zielbewußter Erkenntnisarbeit gegen die Irrationalität der natürlichen und gesellschaftlichen Verhältnisse unternommen, damit die Erde als der einheitlich gemeinsame Lebensraum einer brüderlichen Menschheit in Frieden bewohnt und mit Vernunft genutzt wird.“

Peter Fischer-Appelt u. Johannes Berger: Kreuznacher Hochschulkonzept. Reformziele der Bundesassistentenkonferenz (Schriften der BAK 1). 2. Aufl. Bonn 1968; in: Peter Fischer-Appelt: Die Universität als Kunstwerk. Beiträge aus sechs Jahrzehnten, Hamburg 2012, S. 25.

These 0 Wir haben viel erreicht
Durch humanistische Aufklärung für demokratische Bildung, für die Friedens- und soziale Verantwortung der Wissenschaften, über den Menschen als soziales und kulturelles Wesen, welches seine Lebensverhältnisse ständig selbst schafft, und daher für eine kooperative Lehr-/Lernkultur haben Studierende den ersten Dies Academicus (April 2012) zur Studienreform durchgesetzt. Seither wird in den Gremien nicht vorrangig über „Studierbarkeit“ diskutiert, sondern darüber, wie wir unserer Verantwortung für eine menschenwürdige Entwicklung gerecht werden.
Als erste Konsequenzen daraus wurden beim Dies Academicus 2012 Handlungsempfehlungen erarbeitet, die auf die Verbesserung der Bedingungen für Studium und demokratisches Engagement zielen: Die Minderung der Prüfungslast, Abschaffung von Anwesenheitspflicht und Fristenregelungen, Überwindung der affirmativen Berufsorientierung sind in den meisten Fakultäten erreicht oder auf dem Weg. Darüber hinaus hat eine intensive Diskussion über humanistische Leitbilder und allgemeinbildende Erfordernisse des Studiums eingesetzt, die sich u.a. in der Abschaffung der pur wirtschaftsorientierten Jura-Bachelor-Studiengänge, der Gründung des Uni-Kollegs und weitreichenden Forderungen gegenüber der Stadt zu Studienreform und Hochschul- und Bildungsfinanzierung niederschlägt.
Ausgehend davon hat die Notwendigkeit der Entwicklung von Kritik, Mündigkeit und sozialer Verantwortung von Bildung & Wissenschaft als Beitrag zur Überwindung der Krise in Europa auf internationaler Ebene Eingang in die Bukarest-Erklärung der 7. Bologna-Folgekonferenz gefunden.

These 1 Bologna ist gescheitert.
Die Bologna-Reform hat sich als doppelt dysfunktional erwiesen. Sie schadet nicht nur – im Kapitalinteresse – der bewußten solidarischen Menschenbildung, sondern auch dem Kapital selbst: Beschleunigung, Leistungsdruck und die unkritische Berufsorientierung haben „Vergeßlichkeit“, „Vorgeblichkeit“ und „Verkauf von Wissen“ gefördert. Die modifizierte Arbeitgeber-Erwartung ist jetzt, internationale, politische, soziale und künstlerische Erfahrungen, ein breiteres Fächerspektrum, längere Studienzeit und „Aus-Fehlern-Lernen“ in das „berufsorientierte“ Studium zu integrieren. Dies ist 1. Ausdruck der Stärke der studentischen Kritik und 2. der Ratlosigkeit der Herrschenden.
Da Menschen, die kooperativ, kritisch, sozial und internationalistisch Denken und Handeln, nicht für die zynische Fortsetzung rentabler Verwertung von Menschen und Erkenntnissen einzuspannen sind, ist eine Aufhebung dieses Widerspruchs notwendig: Etwas Neues muß geschaffen werden.
An die Stelle individualisierender Kompetenzvermittlung, die jede/n in den bestehenden Herrschafts- und Konkurrenzverhältnissen verunmittelbaren soll, muß die soziale Kultivierung des Gemeinwesens treten.

These 2 Entfremdung ist das zu lösende Problem
Mit der Bolgona-Reform ist herrschenderseits versucht worden, das Gewicht von der Bildung mündiger Menschen zur verwertungs- und marktkonformen Ausbildung zu verschieben. (Selbst‑)Vermarktung und Anpassung prägen dabei inhaltlich mit „Berufsorientierung“ und strukturell durch währungsartige Noten und Leistungspunkte, enge Module und konkurrenzverschärfende selektive Zulassung das Studium „Bolognese“.
Die Ausrichtung des Studiums auf die Anwendung und Verdinglichung des Menschen steigert die Entfremdung: Die Beteiligten werden gedrängt, sich dafür zu qualifizieren, den gesellschaftlichen Reichtum zu mehren, wegen dessen privater Aneignung damit aber nur die eigene Ausbeutung durch die Herrschenden zu erweitern. Auf dem erarbeiteten Stand gesellschaftlicher Entwicklung ist aber der Reichtum und der wissenschaftlich-technische Fortschritt so groß, daß es erforderlich ist, daß der Mensch zunehmend planend und lenkend neben den unmittelbaren Produktionsprozeß tritt. Dies nicht im eigenen verallgemeinerbaren Interesse tun zu sollen, sondern im Interesse der Ausbeutung, ist ein zunehmend unerträglicher Widerspruch.

These 3 Menschenwürdige Bildung trägt zur Überwindung der Entfremdung bei
Frage immer: Cui bono?

Studienreform muß daher auf das gemeinsame Interesse der „99 %“ zielen: Frieden und internationale Verständigung, Gesundheit, global ausreichende und gute Ernährung, nachhaltige Energiegewinnung und Mobilität, massenhafte Aufklärung zur gesellschaftlichen Partizipation und Kulturentwicklung, inklusive Schulen und allgemein Barrierefreiheit, demokratische Partizipation und Humanisierung der Produktion sowie menschenwürdiges Recht sind die praktischen Herausforderungen, denen sich Bildung und Wissenschaft widmen müssen. Nur so werden sie in Übereinstimmung mit dem sozialen Interesse der Wissenschaftssubjekte entwickelt.
Wirklicher Gesellschaftsbezug (auch: Praxisorientierung) erfordert dafür eine sozialkritische, geschichtsbewußte, humanistische Theoriebildung anstatt sie zu verdrängen.
Dabei sind alle beteiligten Lernende. Egalitäre, kooperative Lehr- und Lernformen und die Einheit von Forschung und Lehre sind folglich von Anfang an einzig angemessen.
All das erfordert progressive Parteilichkeit der Wissenschaften und Wissen-Schaffenden und die (selbst-)kritische Auseinandersetzung mit verdeckter oder offener Industrieanbindung, heuchlerischen Neutralitätsgeboten und herrschafts-konformer Ideologiebildung. Für viele Bereiche der Universität ist eine Art Konversion notwendig.

These 4 Studienreform fordert die Universität als politische Akteurin
Die Studienreform wird durch die Verschärfung der Unterfinanzierung qua Schuldenbremse behindert. Im Widerspruch zur politisch-ökonomische Erstarrung, Wissenschaften marktkonform auszurichten, wachsen die Reformbestrebungen der Uni. Zur weiteren Progression ist daher kollektives politisches Eingreifen zur Überwindung von Schuldenbremse, zur Verbesserung der Studien- und Arbeitsbedingungen ihrer Mitglieder und zur Beseitigung politischer Behinderungen (wie z.B. durch das Hochschulgesetz und die Vorgaben von KMK, HRK und Akkreditierungsräten) nötig. Verbesserungen beginnen! Dieses Erfordernis muß in Studienreform und Studium permanent reflektiert und -realisiert werden.

http://www.fsrk.de/artikel_302.html [Stand 9. April 2013]


Thesen Studienreformtag