Im "Kampf um die Zukunft" sind die Ansprüche an Studium, Bildung und Wissenschaft gemeinsam ambitionierter gefasst. Die Universität Hamburg will zu einer zivilen, ökologisch nachhaltigen, sozial verantwortlichen und demokratischen Entwicklung der Gesellschaft beitragen. Deshalb will sie nicht nur Bestehendes reproduzieren, sondern Perspektiven zum Eingreifen in die gesellschaftliche Entwicklung eröffnen.
Durch die Studienreform infolge der Bologna-Vereinbarung dagegen werden die Mitglieder der Hochschulen dazu gedrängt, sich fachlich so zu qualifizieren, dass sie die Verwertungsanforderungen der Arbeitgeber erfüllen. Dafür sollen alle kritischen Ansprüche an die Erkenntnis gesellschaftlicher Zusammenhänge, solidarischer Veränderung von Wissenschaft und Gesellschaft sowie persönlicher Entwicklung ausgeklammert werden,
— indem Lehrende und Lernende angehalten werden, sich hierarchisch statt als gemeinsam Forschende zu begreifen,
— indem Studierende gedrängt werden, für vermeintliche individuelle Vorteile eilig durchs Studium zu hetzten, statt gesellschaftliche Entwicklungserfordernisse und -möglichkeiten zu durchdringen, und
— indem die Studierenden in Konkurrenz gesetzt werden, um die vermeintlich knappe Ressource Bildung.
Die Bildung wird so auch immer formaler und unwissenschaftlicher.
Wir müssen daher einer dreifachen Entfremdung begegnen: Das eigene Erkenntnis- und Veränderungsinteresse, der Wissenschaftsgegenstand und die Mitmenschen müssen neu in den Mittelpunkt gerückt werden, um gesellschaftlich verantwortliche und bereichernde Bildung und Wissenschaft wieder zu ermöglichen. Dafür ist eine echte Studienreform in folgenden Kernpunkten dringend erforderlich:
Durch die Modularisierung findet eine Normierung der Wissenschaft auf bereits Gegebenes statt, da die starren Modulbeschreibungen verhindern, dass Wissenschaftsgegenstand und Vorgehensweise kooperativ bestimmt werden können. Dass Module sich inhaltlich nicht überschneiden und meist auch nicht wiederholt werden dürfen, führt dazu, dass die Einsicht in die Zusammenhänge und die Vertiefung erschwert werden.
Die Module sind abzuschaffen, um einen interessegeleiteten Studienweg und die kooperative Gestaltung von Veranstaltungen zu ermöglichen. Studienpläne, Orientierungseinheiten und Tutorien müssen ausgebaut und entwickelt werden für eine vernünftige, kooperative Orientierung des Studiums.
Prüfungen in ihrer jetzigen Form dominieren den Bildungsprozess und stehen daher wissenschaftlicher Bildung entgegen. Die hierarchischen Verhältnisse in einer Prüfungssituation und die damit verbundene Abhängigkeit stehen einer gemeinschaftlichen Erarbeitung von wissenschaftlichen Erkenntnissen gegenüber. Auch eine Benotung mindert die kritische Auseinandersetzung, da sie statt einer inhaltlichen Rückmeldung für die wissenschaftliche und persönliche Entwicklung eine formale Kennzeichnung darstellt, die der Selektion durch Arbeitgeber dient.
Die Modulfristen führen zu einem gehetzten Konsumstudium, in dem gesellschaftlich insgesamt wie im aktuellen Mainstream der Wissenschaft Gegebenes nicht in Frage gestellt wird, sondern der Prüfungserfolg im Vordergrund steht. Der resultierende Training, just-in-time verwertbar zu sein, macht das Studium unwissenschaftlich, statt zur Bildung mündiger Menschen beizuragen. Auch die Regelstudienzeit hat diese Funktion. Mit der so organisierten Eile wird außerdem der Mangel (an Stellen, an Seminar- und Praktikumsplätzen, an vernünftigen Möglichkeiten das Studium zu planen usw.) verewigt. Beides gilt auch für Überlegungen, die Fristen durch Problem-individualisierende Zwangs“beratungen“ zu ersetzten.
Teil des Studiums sollte das Erlangen von fachbezogenen und kulturellen Fertigkeiten sein. Die Allgemeineberufsbildende- Kompetenzen (ABK)-Kurse dienen jedoch einzig einem Profilierungstraining hin auf den Arbeitsmarkt, denn die Fertigkeiten werden von diesem Zweck her bestimmt und nicht vom Wissenschaftsgegenstand her.
Die Mobilität der Studierenden hat sich durch Bologna nicht wie angekündigt verbessert, sondern eher verschlechtert. Die Module und Punkte führen nicht zu einer besseren Vergleichbarkeit sondern zu mehr Aufwand. Die Konkurrenz der Hochschulstandorte verbessert die Kooperation nicht.
Wir fordern alle mit Lehre, Studium und Studienreform Befassten dazu auf, die genannten Schritte dringend erforderlicher Studienreform hin auf gesellschaftlich verantwortliche und erfreuliche, entwicklungsorientierte Bildung mit uns zu erstreiten. Insbesondere die Fakultätsräte sollen diesen Prozess vorantreiben und auch die Initiative zu den dafür notwendigen Gesetzesänderungen ergreifen.