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dokumentiert

Rede von Till Petersen

Rede von Till Petersen (FSRK) bei der Festveranstaltung am 13. Mai 2011 zum 100. Jahrestag des Hauptgebäudes sowie zur Benennung zweier Hörsäle nach Prof. A. Mendelsohn Bartholdy und Prof. E. Heimann.

Liebe Mitglieder und Freunde der Universität, sehr geehrte Damen und Herren,

„Was aber ist die große Aufgabe unserer Zeit? Es ist die Emanzipation. Nicht bloß die der Irländer, Griechen, Frankfurter Juden, westindischen Schwarzen und dergleichen gedrückten Volkes, sondern es ist die Emanzipation der ganzen Welt, absonderlich Europas, das mündig geworden ist und sich jetzt losreißt von dem eisernen Gängelbande der Bevorrechteten, der Aristokratie.“

Die von Heinrich Heine bereits 1830 in den Reisebildern identifizierte Aufgabe der Emanzipation ist noch nicht vollendet.
Für die Menschheit in ihrer ausgedehnten Adoleszenzphase, also auf dem inzwischen doch recht langen Weg zur kollektiven Mündigkeit, ist das öffentliche Bildungswesen von elementarer Bedeutung. Die Übergabe eines eigenen Gebäudes für das Allgemeine Vorlesungswesen 1911 war ein später aber ehrenwerter Versuch, diesem Umstand auch in Hamburg gerecht zu werden. Die Umsetzung eines öffentlichen höheren Bildungswesens im notwendigen Umfang jedoch gelang erst mit dem Losreißen von Militarismus und Autoritarismus durch die Revolution von 1918.

Der Antifaschist Albrecht Mendelsohn Bartholdy war Pazifist. Ihm konnte die bloße Abwesenheit der Gewalt keine hinreichende Konsequenz aus dem 1. Weltkrieg sein. Er vertrat dagegen die Überschreitung der Aggression durch das Prinzip der gemeinsamen Verantwortung durch Völkerverständigung, durch die Grundsätze des Völkerbunds. Wir wissen, daß die Geschichte ihm in grauenvoller Weise Recht gegeben hat.
Der Antifaschist Eduard Heimann kritisierte, daß das in der bürgerlichen Gesellschaft errungene Recht eines jeden auf Bildung ein formales bliebe, weil unter der Dominanz des Marktes eine auf Kompetenzerwerb gerichtete und damit quantitative Bildung soziale Unterschiede verfestigt und vertieft. Er vertrat daher die Bindung der Bildung nicht an den Zweck zählbaren Produktions-Outputs, sondern an die Wahrheitssuche nach der Maßgabe der Würde des Menschen. Er war im übrigen auch ein Gegner von Studiengebühren.

Das Wirken der Antifaschisten war davon geprägt, daß sie im Angesicht der Barbarei nicht einfach nur zu einem besseren vorherigen Zustand zurückkehren wollten, sondern Verhältnisse anstrebten, welche die Barbarei unmöglich machen.
Nicht nur für die Hochschulen bedeutete dies die Ungenügendheit der Restauration nach 1945 und die Notwendigkeit der Umwälzungen von 1968.
Die Errungenschaften der 68er-Bewegung, die soziale Öffnung der Hochschulen, ihre Demokratisierung und der kritische Gesellschaftsbezug der Wissenschaften, sind in den vergangenen Jahren systematisch von „Oben“ bekämpft worden. Kommerzialisiert durch Studiengebühren und leistungsbezogene Vergütung, hierarchisiert nach dem schlechten Vorbild von Unternehmen und marktförmig gegängelt durch strikt regulierte Bachelor-Studiengänge und nicht zuletzt in emanzipatorischen Ansprüchen negiert durch systematische Sparauflagen.
Die Krise ist nun groß.
Eine erforderliche und geschichtsbewußte Kehrtwende zu einer emanzipatorischen Politik wird nicht gelingen durch die schlichte Rücknahme und Milderung von vorherigen Verschlechterung durch beispielsweise die nur gemächliche Aufhebung von Teilen der Studiengebühren. Sie wird erst recht nicht gelingen durch die Fortsetzung oder gar Verschärfung der haushalterischen Missachtung von Bildung, Sozialem und Kultur.

Der französische Résistancekämpfer Stéphane Hessel schreibt in seinem 2010 veröffentlichten Aufruf "Empört Euch": „Man wagt uns zu sagen, der Staat könne die Kosten dieser sozialen Errungenschaften nicht mehr tragen. Aber wie kann heute das Geld dafür fehlen, da doch der Wohlstand so viel größer ist als zur Zeit der Befreiung, als Europa in Trümmern lag? Doch nur deshalb, weil die Macht des Geldes – die so sehr von der Resistance bekämpft wurde – niemals so groß, so anmaßend, so egoistisch war wie heute, mit Lobbyisten bis in die höchsten Ränge des Staates. In vielen Schaltstellen der wieder privatisierten Geldinstitute sitzen Bonibanker und Gewinnmaximierer, die sich keinen Deut ums Gemeinwohl scheren.“

Aus dem heutigen Tag können wir also mitnehmen, dass jede Bescheidenheit fehl am Platze ist und Ansprüche zu erweitern sind. Angebliche Sachzwänge sind vor allem ein Aufruf, sie aus dem Weg zu räumen. Eine selbstbewusste Wissenschaft sollte sich insbesondere dieser Verpflichtung aus der Geschichte annehmen, sich um das Gemeinwohl scheren und für Bedingungen engagieren, die eine solche gesellschaftlich verantwortungsvolle Wissenschaft möglich machen.

http://www.fsrk.de/artikel_220.html [Stand 13. Mai 2011]