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FSRK

Die 1968er und der Bruch mit der Normalität

Uwe Timm liest und diskutiert den Roman „Heißer Sommer“

„Schlimm, sagte er.
Bevor sie sich umdrehte, lächelte sie ihm zu.
Ich hätte sie vorbereiten müssen, dachte er, auf diesen monströsen Eichenschrank, auf die Blümchentapete, auf diesen ganzen Mief.“

Uwe Timm, „Heißer Sommer“ (HS), I.12, 1974.

Westdeutschland, Ende der 1960er: Für Aufstieg und Karriere („Wirtschaftswunder“) wird mit biederem Muff die kritische Aufarbeitung der Faschismus gedeckelt. In den Institutionen der BRD gibt es eine latent oder offen faschistische „ungebrochene Tradition, in der Bundeswehr, bei den Richtern und Staatsanwälten, in der Verwaltung, in der Industrie.“ (HS II.7), während verfolgten Widerstandskämpfern die Entschädigungszahlungen verwehrt werden. Die Große Koalition bereitet die Notstandsgesetzgebung vor. Doch es gärt in der Republik. Als der persische Schah zum Geschäftemachen auf Staatsbesuch in der BRD weilt, wird am Rande der Gegendemonstration der Student Benno Ohnesorg von der Polizei erschossen. Die Studierenden begehren in den folgenden Jahren weltweit auf, für die Beendigung des Vietnamkriegs und imperialistischer Ausbeutung, gegen die alte Moral für eine bessere, eine humane und friedliche Welt.

Der Roman „Heißer Sommer“ erzählt, wie sich die Figur Ulrich Krause – auch über Abwege, Zweifel und Irritationen – in den Auseinandersetzungen mit dem „Mief“, den Autoritäten, den dünkelhaften Professoren, der reaktionären Elterngeneration, den Hetzkampagnen des Springer-Konzerns und der staatlichen Gewalt politisiert – stellvertretend für eine Generation.
So ist der Roman von Uwe Timm ein zeitgeschichtliches Dokument, daß die Entwicklung von gesellschaftlicher Konfliktfähigkeit erhellt und aufzeigt, wie ernste Dinge auch heiter genommen werden können.

Beim Verfassen des Romans konnte Uwe Timm auf die Erfahrungen seiner eigenen Mitarbeit im Sozialistischen Deutschen Studentenbund zurückgreifen. Notierte Szenen und Erinnerungen aus den Jahren 1967 bis 69 montierte er später als Gesamtwerk und entwickelte sie erzählerisch zum Roman „Heißer Sommer“, der 1974 in der BRD und 1975 in der DDR erschien. In „Der Freund und der Fremde“ setzt er seinem Freund Benno Ohnesorg 2005 ein literarisches Denkmal. Rückblicke auf die 1968er durchziehen auch Uwe Timms späteres Werk in „Kerbels Flucht“ (1980) oder „Rot“ (2001).

Die aktuelle neokonservative Restauration autoritärer Strukturen (Lenzen-Einsetzung, Verbot von Gremien, Stine-Überwachung) an den Hochschulen und deren Reduktion auf die Reproduktion gesellschaftlicher Eliten (BA/MA, Studiengebühren, Exzellenz) ist der Versuch, die Errungenschaften der Bewegung von 1968 und den Folgejahren (Demokratisierung, Öffnung der Hochschule, kritische Wissenschaftsinhalte, verantwortungsvoller Gesellschaftsbezug) weitgehend zu schleifen und entsprechend emanzipatorische Entwicklungen heute zu verhindern. Dies ist uns Anlaß gemeinsam mit Uwe Timm die Entwicklung der 1968er zu reflektieren, und die Möglichkeit ihrer aktuellen Aufhebung und Fortführung zu diskutieren.

Uwe Timm liest und diskutiert den Roman:
„Heißer Sommer“
im Hörsaal A, Philosophenturm, Von-Melle-Park 6, Universität Hamburg,
am Mittwoch, den 13. Januar 2010, ab 18.30 Uhr, Eintritt frei.
http://www.fsrk.de/artikel_150.html [Stand 4. Januar 2010]