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Presse

"Dekanate sind keine Befehlsempfänger"

Monika Auweter-Kurtz, Präsidentin der Hamburger Universität, liegt im Clinch mit der Führungsriege der Fakultäten. In einem bemerkenswert scharf formulierten Schreiben machten fünf Dekane ihrem Unmut Luft. SPIEGEL ONLINE dokumentiert den Brief vom Dienstag, 9. Juni 2009.

Sehr geehrte Präsidentin,
liebe Frau Auweter-Kurz,

die Ereignisse und die zum Teil unrichtige mediale Berichterstattung der letzten Tage und Wochen erfordern nunmehr eine eindeutige Stellungnahme der Dekanate. Erlauben Sie uns deshalb in Vorbereitung des Gesprächs am Mittwoch folgende grundsätzliche Anmerkungen, die von allen Fakultäten geteilte und immer wieder angesprochene Kritikpunkte zusammenfassen:

I. Festzustellen ist dabei zunächst Folgendes:
Der in der Öffentlichkeit erweckte Eindruck, die Mitglieder der Universität wollten den von der Politik angestoßenen Reformprozess nicht mitgehen, ist falsch. Richtig ist vielmehr: Die Universität befindet sich in einer stürmischen Phase der Erneuerung. Davon betroffen sind bekanntermaßen alle Studiengänge, die organisatorischen und personellen Strukturen im wissenschaftlichen und nichtwissenschaftlichen Bereich sowie die Prozesse der Verwaltung, Kommunikation und Kooperation. Alle Beteiligten tragen diesen Umbruchprozess mit großem Engagement verbunden mit einer optimistischen Zukunftsorientierung. Leitend ist dabei die Überzeugung, dass eine Universität nur zu reformieren ist, wenn die Reformprozesse von einer breiten Mehrheit des wissenschaftlichen und nichtwissenschaftlichen Personals sowie der Studierenden getragen werden und wenn es Auseinandersetzungen über Ziele und Wege der Veränderung geben darf und gibt.

Es geht bei der aktuellen Diskussion entgegen dem auch von Ihnen erweckten Eindruck nicht um die Frage, ob sich die Professoren "neuen Ideen verweigern" (Zitat aus welt-online vom 2.6.2009) oder eine "kleine Minderheit" nicht gewillt ist, die Universität in Forschung und Lehre voran zu bringen (Zitat aus der MOPO vom 30.5.2009). Vielmehr ist - so unser Eindruck aus vielen Gesprächen mit Kolleginnen und Kollegen in den Fakultäten - die Eskalation Ausdruck einer lange schwelenden Unzufriedenheit mit der Führungsqualität in dieser Universität. Wir sind davon überzeugt, dass die Probleme auf kommunikativer und organisatorischer Ebene liegen. Mit Besorgnis nehmen wir wahr, dass während Ihrer Amtszeit die Führungs- und Beteiligungsstrukturen im Präsidium, in der Zentralverwaltung und im Kontakt mit den Fakultäten in einer Art und Weise hierarchisiert wurden, wie es vom Hochschulrecht nicht erzwungen wird und aus unserer Sicht den zu erreichenden Zielen auch nicht dienlich sein kann. Wir befinden uns seit langem und zunehmend in einer Kommunikations- und Vertrauenskrise, die weite Teile des wissenschaftlichen und nichtwissenschaftlichen Personals sowie die Studierenden erfasst hat und die verdeckt, dass bereits wichtige Meilensteine hin zu einer zukunftsfähigen Universität erreicht wurden. Die auf den Weg gebrachten neuen Studiengänge, die inhaltlichen Ziele im Struktur- und Entwicklungsplan, die Entwicklung einer Struktur von Forschungsschwerpunkten und die neue Berufungsordnung sind dafür gute Beispiele.

II. Im Einzelnen ist Folgendes zu sagen:

1) Eine Universität ist eine pluralistische Institution. Es muss akzeptiert und vor allem respektiert werden, dass es in den sechs Fakultäten unterschiedliche Vorgaben, Bedürfnisse und Prioritäten gibt, die sich nicht über einen Kamm scheren lassen.

2) Es muss ebenso akzeptiert und respektiert werden, dass es andere Meinungen gibt als die des Präsidiums oder die der Präsidentin. Wer eine solch andere Meinung - auch nach außen - vertritt, ist nicht schon deshalb störender Abweichler oder Heckenschütze. Wir alle haben letztlich dasselbe Ziel; damit, dass es über den richtigen Weg zu diesem Ziel kontroverse Vorstellungen gibt, muss man gerade als Leiterin einer solch großen Institution umgehen können.

3) Dekanate sind keine Befehlsempfänger, die in einem Klima des gegenseitigen Misstrauens zunehmend von ihrer gesetzlich zugeschriebenen Rolle als Mitgestalter der Ziele und Wege entfremdet werden. Die Universität bedarf zielführender und wertschätzender Formen der Kommunikation, Kooperation, Beteiligung und diskursiven Zielfindung, sollen die laufenden Reformprozesse nicht zum Scheitern verurteilt sein. Eine wie auch immer geartete Weisungsgebundenheit ist - auch gesetzlich - nicht vorgesehen; dies betrifft die Dekaninnen und Dekane selbst, aber auch alle Kolleginnen und Kollegen. Wer mitmachen soll, muss überzeugt werden - und dazu bedarf es des Dialogs. Dieser kommt jedoch im Verhältnis des Präsidiums zu den Fakultäten deutlich zu kurz. Diskussionen, die nach unserem Empfinden nicht selten mit apodiktischen Sätzen im Tenor von "Ich will es aber so" oder "Das ist mir egal" beendet werden, ermutigen nicht dazu, immer wieder das letztlich aussichtslose Gespräch zu suchen.

4) Es ist eigentlich eine Selbstverständlichkeit, dennoch wird sie an dieser Universität nicht immer beachtet: Gesetzliche Vorgaben - und zwar die jeweils in Hamburg in Kraft befindlichen und nicht die in anderen Bundesländern geltenden oder die in Gesetzgebungsvorhaben angedachten - müssen als verlässliche Grundlage behandelt werden. Kompetenzstreitigkeiten zwischen Dekanaten und Präsidium, etwa im Rahmen von Berufungsverhandlungen oder Haushaltsfragen, kosten unnötig Energie, sind Beispiel für fehlendes Grundvertrauen und der Sache nicht dienlich. Wir haben uns vorrangig um die Interessen unserer jeweiligen Fakultät zu kümmern - und dass unsere Ziele nicht immer identisch sind, liegt auf der Hand. Die Dekaninnen und Dekane dürfen nicht als eine Art Abteilungsleiter gesehen werden, deren Aufgabe es ist, für das Präsidium "unten" für Ruhe zu sorgen oder gar Studierende an Demonstrationen zu hindern. Wir werden jedenfalls einen "Top-Down"-Führungsstil nicht länger akzeptieren und erwarten die Rückkehr zu ernsthafter gemeinsamer Arbeit von Fakultäten und Präsidium auf gleicher Augenhöhe.

5) Alle an dem Reformprozess Beteiligten engagieren sich bereits jetzt weit über ihre Kräfte hinaus. Wir sehen täglich, in welchem Maße sich die Mitglieder der Fakultäten und ihrer Dekanate, aber auch die Angehörigen der Universitätsverwaltung für Qualitätssteigerung und Verbesserung der Rahmenbedingungen in Forschung und Lehre einsetzen, ohne dass dies von der Präsidentin auch nur mit einem Satz gewürdigt würde. Die Stimmung bei den Betroffenen an dieser Universität empfinden viele als noch nie so schlecht wie heute. Das gilt nach unserem Eindruck für die in der Zentralverwaltung Beschäftigten, die sich jedenfalls demotiviert fühlen und zunehmend Abwanderungstendenzen zeigen, aber auch für die in den Fakultäten beschäftigten Personen auf allen Ebenen. In manchen Fakultäten war der Krankenstand noch nie so hoch wie jetzt. An dieser für alle Beschäftigten nicht erträglichen Situation muss sich dringend etwas ändern. Auf einen kurzen Nenner gebracht: Mitarbeitermotivation ist die schöne Schwester der Leistungskontrolle.

6) Demotivierend für alle Beteiligten wirkt nicht zuletzt der Schlingerkurs in langfristigen Projekten. Wir registrieren zunehmend sich überstürzende Prozessveränderungen, deren Wert nicht erkennbar ist und an deren Gestaltung nur wenige beteiligt werden. Der STEP-Prozess war auf einem guten Weg, den die zuständige Vizepräsidentin in einfühlsamer Weise mit den Fakultäten gegangen ist, bis Sie den Vorgang ohne Not und kurz vor Schluss zur "Chefsache" erklärt, die Parameter geändert, geleistete Arbeit für obsolet erklärt und die Fakultäten mit nicht enden wollenden Nachforderungen überzogen haben. In mancher Woche kommen fast täglich Nachfragen zu Details, die weder planbar sind noch den Hochschulrat tatsächlich interessieren dürften. Eine seriöse und vertrauensvolle Leitung von Großfakultäten kann auf dieser Basis nicht gelingen. Hier ist nach unserem Empfinden der Blick für das Machbare und Realistische verloren gegangen. Dieses Vorgehen hindert nicht nur die Fakultätsverwaltungen an der Wahrnehmung ihrer sonstigen Aufgaben; vielmehr führt dieser Prozess dazu, dass der STEP schon vor seinem Inkrafttreten deutlich an Akzeptanz verliert. Dies ist mehr als bedauerlich - denn der STEP ist nicht mehr als ein Bündel Papier, wenn die Personen, die ihn umsetzen sollen, nicht hinter ihm stehen.

7) Reformeuphorie darf nicht in Reformwahn enden. Mitunter lassen sich nicht alle Reformideen gleichzeitig umsetzen - schon gar nicht, wenn sie zueinander in Widerspruch geraten. Wer etwa im Jahr 2008 ein Konzept zur leistungs- und belastungsorientierten Mittelvergabe beschließt und kurze Zeit später bei einzelnen Fakultäten drastische Mittelkürzungen aufgrund eines neuen Verteilungsmodells vornimmt, bei denen die maßgeblichen Parameter im Detail mehr als fragwürdig sind, führt die eigenen Beschlüsse ad absurdum.

8) Unsere Arbeit wird auch sonst von unsicheren Planungsvorgaben erschwert. Als völlig inakzeptabel muss es gewertet werden, dass die Fakultäten nach Ablauf fast der Hälfte des Haushaltsjahres noch immer keine sichere Kenntnis über die verfügbaren Mittel haben. Die Ende letzten Jahres gegebene Zusage, die Entscheidung über den Zugriff auf angesparte Rücklagen Anfang des Jahres mitzuteilen, hat sich bislang als leeres Versprechen erwiesen. Mittlerweile ist von einer Entscheidung im Herbst die Rede. Auf dieser Basis kann keine Universität sinnvoll arbeiten.

9) Die von uns allen angestrebte Verbesserung der Universität braucht dringend Unterstützung durch die Berufung qualifizierter Personen. Die Berufungsverhandlungen mit dem Präsidium laufen mitunter sowohl in der Sache als auch atmosphärisch in einem Maße enttäuschend ab, dass wir Anlass haben, an dem Sinn unserer Bemühungen um Qualitätssteigerung zu zweifeln. Entsprechende Rückmeldungen von Bewerberinnen und Bewerbern geben Anlass zur Sorge. Immer wieder entsteht in Berufungsverhandlungen der Eindruck, man sei nicht wirklich herzlich willkommen. Ambitionierte Ziel- und Leistungsvereinbarungen können die Exzellenz unserer Universität nur dann voranbringen, wenn sie gegenüber neuen Kolleginnen und Kollegen keine abschreckende Wirkung haben.

10) Als Präsidentin sollten Sie die Qualität Ihres Beraterstabes überprüfen. Exzellenz beginnt an der Spitze. Insbesondere die Außendarstellung der Universität ist katastrophal. Wer die Öffentlichkeit für sich gewinnen will, sollte mit ihr nicht ähnlich robust umgehen wie mit den Mitgliedern der Universität. Der notwendige kämpferische Einsatz für die Belange der Universität darf nicht mit den falschen kommunikativen Mitteln geführt werden. Allerdings führt auch die beste Kommunikationsarbeit zu keiner Imageverbesserung, wenn die realen Verhältnisse nicht verbessert werden.

Wir betrachten auch diesen Brief als interne Angelegenheit zwischen den Dekanaten und dem Präsidium, erlauben uns allerdings, gleichlautend an den Vorsitzenden des Hochschulrates zu schreiben.

Mit freundlichen Grüßen
Die Dekanate der Fakultäten 1-5

http://www.fsrk.de/artikel_126.html [Stand 11. Juni 2009]