.
FSRK

Hessen, Österreich, Hamburg?

Wie geht’s weiter mit den Studiengebühren?

Die Hessen haben es vorgemacht. Auf Grundlage studentischer Proteste und einer Verfassungsklage haben sich dort die Parlamentarier der LINKEN, der SPD und der Grünen auf die Abschaffung sämtlicher Studiengebühren geeinigt und sie durchgesetzt – unabhängig von einer Regierungsbildung. In Österreich platzte die große Koalition und noch vor den Neuwahlen beschloß das Parlament mit den Stimmen von SPÖ, Grünen und FPÖ nach über acht Jahren der Gebührenerhebung die Abschaffung, wenn auch mit den FPÖ-bedingten Einschränkungen ermäßigter Gebühren gegen nicht EU-Ausländer und der fortgesetzten Gebühren gegen „Langzeit“-Studierende.

In Hamburg hat die Bürgerschaft mit der Mehrheit der schwarz-grünen Regierungskoalition am 17. September die modifizierte Aufrechterhaltung der Studiengebühren beschlossen. Mit den Gebühren – die nun für einige bis nach dem Studium gestundet werden können – bleibt ihre Schädlichkeit erhalten: die Degradierung von Bildung und Menschen zur Ware, die soziale Auslese und die Entdemokratisierung der Hochschulen. Schwarz- Grün hat erneut gegen das Interesse und auch die artikulierte mehrheitliche Auffassung der Bevölkerungsmehrheit gehandelt.

Seit der Bürgerschaftswahl im Frühjahr haben die Studierenden die Koalitionsverhandlungen konfrontiert und so manche Veranstaltung „heimgesucht“: Studiengebühren sind abzuschaffen für eine emanzipatorische und gesellschaftlich verantwortungsbewusste Wissenschaft. Erneut wurden in den Ferien 3.000 Unterschriften gesammelt, um die CDU-Lüge der Gewöhnung an die Gebühren zu entkräften (Text der Aktion umseitig). Mit Demonstrationen und Stellungnahmen wurde auf die Parlamentsparteien für Gebührenfreiheit Druck gemacht. Besonders zum Ausdruck kam dies bei der öffentlichen Anhörung des Wissenschaftsausschusses, bei der ca. 200 Studierende ihre Kritik an den Gebühren artikulierten. Die Kommerzialisierung der Bildung steht im Widerspruch zur menschlichen Würde, zu wissenschaftlicher Weltaneignung als Beitrag zu einer friedlichen, sozial entwickelten und demokratischen Welt, soll Verwertungsgehorsam erzwingen und dafür Angst durch soziale Selektion schüren, waren die weiterhin zutreffenden Hauptargumente.

Diese Argumente wurden bei der Lesung des Gesetzes in der Bürgerschaft von der LINKEN aufgegriffen, die den Text der studentischen Unterschriftenaktion verlas und die CDU dafür attackierte, mit dem neuen Stundungsmodell eine staatlich organisierte Umverteilung von den Studierenden und Steuerzahlern zu den Banken anzuheizen – die Konservativen wollen aus der Finanzkrise nicht lernen. Die SPD kritisierte, daß die Koalition zur Rettung der Studiengebühren eine riesige Staatsverschuldung provoziere und deckte die Lügen der Koalitionsfraktionen auf, wonach niemand sofort zahlen müsse und es nun mehr Befreiungstatbestände gäbe als bisher. Die Wahrheit ist: Allein an der Uni Hamburg werden voraussichtlich über 11.000 Studierende die 375 Euro sofort aufbringen müssen und chronisch kranke und behinderte Studierende sowie solche mit Kindern werden anders als bisher ebenfalls zur Kasse gebeten. Derweil die GALier diese Konsequenzen ihres eignen Gesetzes strikt nicht wahr haben wollten und greinten, man möge sie doch nicht so hart zur Rechenschaft ziehen, sie hätten doch wenigsten eine Absenkung erreicht, pöbelte die CDU nervös aus ihren Reihen: Sie hatten keine Argumente. Arg unter Bedrängnis beschloss die Regierungskoalition noch eine zusätzliche Stundungsberechtigungen für gremienaktive Studierende und überstand eine namentliche Abstimmung des so geänderten Gesetzes nur unter Einsammlung weglaufender Parlamentarier.

Der politische Senat in Hamburg, „Schwarz-Grün“, ist schon nach kurzer Amtszeit in einer tiefen Krise. Das Millionengrab „Elbphilharmonie“, der Bau der Riesendrecksschleuder Moorburg und die Elbvertiefungspläne machen deutlich, daß von dem CDU-Kurs der Politik für die Handelskammer und einer entsprechenden Elite nicht abgewichen werden soll. Die geplante Primarschule setzt das selektive Bildungssystem in „zwei Säulen“ fort und bekommt harsches Contra durch das Volksbegehren für „Eine-Schule-für-Alle“, und die Auseinandersetzung um die nachgelagerten Studiengebühren hat die Risse in der Koalition weiter vertieft. Auch die nachgelagerten Studiengebühren sind somit nicht einmal kurzfristig ein hinzunehmendes Übel. Die Widersprüche des Gesetzes (z.B. Banken- statt Hochschulfinanzierung), und die verschleierten Tatsachen (keine Nachlagerung für ca. 30% der Studierenden) werden nun in der Praxis neu deutlich werden. Mit fortgesetzten kritischen Protesten können wir auf weiterreichende Konsequenzen drängen. Die gänzliche Abschaffung der Studiengebühren – warum nicht als rot-rot-grüner Übergangsbeschluss nach Zerplatzen der Regierungskoalition?


Das neue Gebührenmodell

Am 17. 09. 08 haben GAL und CDU das Gesetz zur „Nachlagerung“ der Studiengebühren beschlossen. Demzufolge sollen ab dem 1. Oktober alle Studierenden jedes Semester 375 Euro zahlen. Ausgenommen sind lediglich DoktorandInnen und Ärzte im praktischen Jahr (zum Sonderfall von Studierenden mit Kindern und chronisch kranke/behinderte Studierende, siehe unten). Das Gesetz sieht vor, daß die Gebühren auf Antrag gestundet werden können. Dieser Stundungsanspruch gilt jedoch nur für EU-Bürger, die unter 45 sind und die Regelstudienzeit plus zwei Semester (bzw. zwei weitere Semester bei Gremientätigkeit) nicht überschritten haben. Die übrigen ca. 30% der Studierenden habe keinen Stundungsanspruch und müssen jedes Semester zahlen. Studierende aus nicht EU-Ländern werden an der Uni voraussichtlich durch eine Satzung den EU-Studierenden gleichgestellt und erhalten dann dieselben Stundungsansprüche.

Für jedes Semester, in dem die Stundung in Anspruch genommen wird, entstehen bei der Wohnungsbaukreditanstalt (WK) 375.- € Schulden. Bei einem durchschnittlichen Masterstudium von ca. 11 Semestern sind das gut 4.000 Euro Schulden. Diese Schulden sind zwei Jahre nach Studienabschluß sofort und in Gänze zurückzubezahlen, sobald das Jahresbruttoeinkommen 30.000 Euro übersteigt; wer das nicht kann muß einen verzinsten Rückzahlungskredit aufnehmen.

Sonderfall Studierende mit Kindern und chronisch kranke/behinderte Studierende: Diese Studierenden müssen zunächst wie alle anderen zahlen und können dafür ebenfalls eine Stundung in Anspruch nehmen. Erst wenn sie die Regelstudienzeit plus zwei Semester überschritten haben verfällt nicht ihr Stundungsanspruch sondern ihre Gebührenpflicht: von da an müssen sie keine allgemeinen Studiengebühren mehr zahlen.

Da das Stundungsmodell nicht zulasten der Einnahmen der Hochschulen durchzusetzen war, werden die Einnahmen von der staatlichen WK vorgeschossen. Die Kosten übernimmt der Staat, inklusive Zinsen und Verwaltungskosten. Damit werden die Studierenden und Steuerzahler gleich doppelt belastet: durch die Gebühren und die Steuern, die den Kredit und die Zinslast der dadurch verursachten Staatsverschuldung tragen sollen. Es ist also erneut kein Studienfinanzierungs- sondern ein Bankenfinanzierungsgesetz.

Verfahren

Derzeit werden zwischen den Hochschulverwaltungen und der Behörde noch die Modalitäten der Gebührenerhebung ausgehandelt (Gebührensatzungen, Antragsregeln für Eltern, chronisch kranke/behinderte Studierende und gremienaktive Studierende, Umgang mit Urlaubssemestern, etc.). Etwa Ende Oktober erhalten alle Studierenden von der Univerwaltung ein Anschreiben mit Erläuterungen zu möglichen Anträgen auf Stundung bzw. Befreiung von den Gebühren sowie einer Zahlfrist. Bis ca. Mitte November ist damit zu rechnen, dass die Gebühren gezahlt, bzw. ihre Stundung beantragt werden muß. Genaueres zu Fristen und Antragsverfahren lässt sich leider noch nicht sagen. In Hinblick auf unsere fortgesetzten Kämpfe für die Abschaffung der Gebühren fordern wir alle auf, soweit sie es können, von der Stundung Gebrauch zu machen!! Wer das Geld aufbringen kann, soll es lieber bis nach dem Studium sparen und die Zinsen einstreichen, als es übereilt dem Staatshaushalt zu übergeben. Wenn wir erfolgreich die Gebührenabschaffung erkämpfen, können auch die bis dahin gestundeten Gebühren gänzlich verfallen.

Dokumentiert: Text der Unterschriftenliste

Für die Abschaffung jeglicher Studiengebühren

„Ich bin für ein gebührenfreies Studium und daher für die Abschaffung jeglicher Studiengebühren, ob allgemeine, nachgelagerte, Langzeit- oder Verwaltungsgebühren, denn
 Studiengebühren wirken sozial selektiv, weil sie Studierende mit zusätzlichen Kosten belasten, statt die Bildungskosten bei den wirklich Reichen einzutreiben,
 Studiengebühren sind eine ordnungspolitische Maßnahme zur restriktiven Gestaltung des Studiums und zur Verdrängung allgemeinbildender Anteile,
 Studiengebühren wirken entsolidarisierend und entdemokratisierend, indem kritisches Engagement für soziale und kulturelle Verbesserungen mit finanziellem Druck bestraft wird,
 Bildung ist ein allgemeines Recht und dem Allgemeinwohl verpflichtet und muß daher bedarfsdeckend öffentlich finanziert werden.“

Wir sammeln weiter Unterschriften!

http://www.fsrk.de/artikel_102.html [Stand 8. Oktober 2008]