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Studiengebührenboykott in Hamburg – ein Beitrag zu einem besseren Studium

Eine Antwort auf: „Studiengebühren in Hamburg – ein Beitrag zu einem besseren Studium“

Inhaltsverzeichnis


0. Editorial

Wissenschaftssenator Jörg Dräger versucht schon seit Jahren, an den Hamburger Hochschulen allgemeine Studiengebühren einzuführen. Er hat jedoch das Problem, dass die Gebühren weiterhin mehrheitlich abgelehnt werden. Um dies zu ändern, gab er jüngst die Broschüre „Studiengebühren – ein Beitrag zu einem besseren Studium“ mit „Argumenten“ pro Studiengebühren heraus. Diese dokumentieren wir im folgenden und geben ihnen das politische Kontra, das sie verdienen.
Abschließend legen wir dar, warum und wie die Studiengebühren boykottiert werden und was damit zu gewinnen ist.

Eine anregende Lektüre wünscht
die Fachschaftsrätekonferenz (FSRK)


– D O K U M E N T I E R T –
„Studiengebühren – ein Beitrag zu einem besseren Studium“, Senatsbroschüre, 2007, Seite 5. pdf

Studiengebühren in Hamburg – ein Beitrag zu einem besseren Studium
Die Einführung von Studiengebühren ist ein Teil einer umfassenden Hochschulreform in Hamburg. Mehr Qualität, bessere Studien-, Lehr- und Forschungsbedingungen sowie höherer Studienerfolg sind Ziele dieser Reform. Dazu werden das Bachelor-Master-Studiensystem eingeführt, Fakultäten gebildet, die Lehrverpflichtung flexibilisiert und für Professorinnen und Professoren eine leistungsorientierte Besoldung etabliert.
Ein Studium lohnt sich! Und zwar nicht nur ideell, sondern auch als Investition in die eigene Zukunft. Akademikerinnen und Akademiker haben nach OECD-Angaben durchschnittlich ein um 60 Prozent höheres Einkommen als Beschäftigte mit Abitur, aber ohne Studienabschluss. Die Arbeitslosenquote bei Akademikern liegt unter fünf Prozent – gegenüber rund zehn Prozent insgesamt. Ein Studium führt in spannende Berufs- und Arbeitsfelder und trägt damit auch zu mehr Lebensqualität und Zufriedenheit bei.
Deshalb ist es fair, wenn Studierende einen moderaten Beitrag zu den Kosten ihres Studiums leisten. Wer die Studiengebühr nicht aufbringen kann, erhält ein staatlich garantiertes Darlehen zu günstigen Konditionen und zahlt dieses erst zurück, wenn er oder sie genügend Geld verdient.
Die Gebühren kommen den Studierenden selbst zu Gute: Sie fließen vollständig an die Hochschulen und dürfen nur für Zwecke von Studium und Lehre ausgegeben werden – dies ist gesetzlich festgelegt. Die Freie und Hansestadt Hamburg trägt selbstverständlich nach wie vor den Löwenanteil der Studienkosten: Die Mehreinnahmen durch Gebühren bedeuten rund 8,5 Prozent mehr Mittel für die Hochschulen.
Mit diesem zusätzlichen Geld schaffen die Hochschulen bessere Studienbedingungen: Intensivere Betreuung (z.B. durch mehr Tutorien und kleinere Lerngruppen), eine bessere Infrastruktur (z. B. mit längeren Bibliotheksöffnungszeiten, mehr Büchern und mehr PC-Arbeitsplätzen) und eine verbesserte räumliche Ausstattung sollen zu einem schnelleren und erfolgreicheren Studium beitragen.
Mit ihrem finanziellen Beitrag steigt auch der Einfluss der Studierenden an der Hochschule: Wer einen Beitrag leistet, kann auch mehr Leistung verlangen. Die Hochschulen sollen ihre Studierenden angemessen an den Entscheidungen über die Verwendung der Gebühren zu beteiligen.“


1. Studiengebühren und das neoliberale Gesamtpaket

„Die Einführung von Studiengebühren ist ein Teil einer umfassenden Hochschulreform in Hamburg. Mehr Qualität, bessere Studien-, Lehr- und Forschungsbedingungen sowie höherer Studienerfolg sind Ziele dieser Reform. Dazu werden das Bachelor-Master-Studiensystem eingeführt, Fakultäten gebildet, die Lehrverpflichtung flexibilisiert und für Professorinnen und Professoren eine leistungsorientierte Besoldung etabliert.“

Senatsbroschüre.

„Ich bin eine große Liebhaberin von Vernunft, ich habe sehr viel Ehrerbietung für die Notwendigkeit. – Aber lassen Sie doch hören, wie vernünftig diese Vernunft, wie notwendig diese Notwendigkeit ist.“

Gotthold Ephraim Lessing, „Minna von Barnhelm“ im gleichnamigen Stück, Zweiter Aufzug, Neunter Auftritt, geschrieben 1763; uraufgeführt in Hamburg 1776. html

Mehr, besser, höher – hinter dem verbalen Geprotze der „umfassenden Hochschulreform“ verbirgt sich schlicht das Einreißen fortschrittlicher Errungenschaften in Bildung und Wissenschaft. Dafür setzt Dräger drei Keulen an:

Auf institutioneller Ebene soll mit der Fakultätenbildung die demokratische Partizipation aller an der Entwicklung der Wissenschaftsinhalte ausgehebelt werden. Auf der Ebene der Bildungsinhalte wird mit den sozial selektiven und verschulten Ba/Ma-Abschlüssen die maximale Oberflächlichkeit angestrebt. Bei den Bildungssubjekten soll mit dem finanziellen Druck von Studiengebühren und leistungsorientierter Besoldung schließlich jede emanzipatorische Regung im Keim erstickt werden.

Dräger hat somit Studiengebühren selbst eingeordnet in sein Gesamtkonzept von Bildung, Wissenschaft und Mensch: antidemokratisch, oberflächlich, devot. Vernünftig ist anders.

Die notwendigen Säulen einer vernünftigen Wissenschaft sind dagegen: a) die demokratische Partizipation aller Hochschulmitglieder als Grundlage von Wissenschaft von Menschen für Menschen. b) der kritische Gesellschaftsbezug als allgemeinwohlorientierter Wissenschaftsinhalt. c) die soziale Öffnung als Voraussetzung der massenhaften Qualifizierung mündiger Subjekte.

Der (höhere) Erfolg des Studierens besteht dann im gemeinsamen Begreifen und Verbessern der Lebenslage aller. Der solidarische Boykott der Gebühren ist solch ein Studium.


2. Studiengebühren und der „Konkurrenzvorteil“

„Ein Studium lohnt sich! Und zwar nicht nur ideell, sondern auch als Investition in die eigene Zukunft. Akademikerinnen und Akademiker haben nach OECD-Angaben durchschnittlich ein um 60 Prozent höheres Einkommen als Beschäftigte mit Abitur, aber ohne Studienabschluss. Die Arbeitslosenquote bei Akademikern liegt unter fünf Prozent – gegenüber rund zehn Prozent insgesamt. Ein Studium führt in spannende Berufs- und Arbeitsfelder und trägt damit auch zu mehr Lebensqualität und Zufriedenheit bei.
Deshalb ist es fair, wenn Studierende einen moderaten Beitrag zu den Kosten ihres Studiums leisten.“

Senatsbroschüre.

„Ich kenne die Weise, ich kenne den Text
Ich kenne auch die Herren Verfasser;
Ich weiß, sie tranken heimlich Wein
und predigten öffentlich Wasser.“

Heinrich Heine, „Deutschland. Ein Wintermärchen“, Caput 1, 1848. html

Ein etwa 5700% höheres Einkommen als der Durchschnitt seiner „Untergebenen“ kassiert der Vorstandvorsitzende der Bertelsmann AG Günther Thielen (und ist dabei übrigens doch nur Lakai des Konzerngründers Reinhard Mohn mit über vier Milliarden Euro Privatvermögen). Das hält die Unternehmensleitung jedoch mit Nichten davon ab, seit Jahren in vorderster Front die Einführung eines „moderaten Beitrags“ der Studierenden zur Hochschulfinanzierung einzufordern.

Zur Legitimierung der gemeinten Studiengebühren wirft die Wissenschaftsbehörde den angehenden Akademikern einige Brotkrumen hin: ein potentielles Einkommen oberhalb der Armutsgrenze, ein bißchen weniger Angst vor Arbeitslosigkeit, manchmal ein anregender Lichtblick im ansonsten tristen Arbeitsleben. Für dieses spärliche Mahl mögen die Studierenden durch die Entrichtung des Entgeltes ihre Dankbarkeit erweisen, vor allem aber den großen ideologischen Brocken schlucken, daß die umfassende Konkurrenz aller gegen alle Naturgesetz sei.

Bildung sei daher nicht Emanzipation, Wissenschaft nicht das Begreifen sozialer, kultureller, natürlicher Zusammenhänge mit dem Ziel der gemeinsamen menschenwürdigen Veränderung der Lebensbedingungen aller. Nein. Mit der Knute der Studiengebühren im Nacken sollen die Studierenden ihr Studium als „Investition in die eigene Zukunft“ betrachten. Wissenschaft und Bildung seien somit eine Ware, mit deren Erwerb sich ein Konkurrenzvorteil erkauft und der eigene Marktwert gegenüber den Mitmenschen gesteigert werden könne. Kurz: Der Mensch selbst soll zur Ware werden. Die Hamburger Handelskammer nennt solche akademisch ausgebildete Ware Mensch „Humankapital“, kann ‚das‘ gut für weitere Profitheckerei gebrauchen und forderte deshalb schon 1999 die Einführung des Bezahlstudiums. Nicht nur in diesem Punkt ist sie damit die Taktgeberin der CDU-Senatspolitik.

Dreckig ist’s also, wenn in der Senatsbroschüre für die Rechtfertigung dieser profan motivierten Verzweckung des Menschen das emanzipatorische Potential von Bildung instrumentalisiert und „mehr Lebensqualität und Zufriedenheit“ in Aussicht gestellt werden. Was als soziale Geste daherkommt – die finanzielle Ausgleichspflicht für einen scheinbaren Vorteil – ist gerichtet auf die weitere Zuspitzung sozialer Ungleichheit: Im Dienste der Profitsteigerung für die ganz Wenigen sollen die Akademiker devot malochen und eigene „Wettbewerbsvorteile“ gegen ganz unten verteidigen (schließlich hat man ja für diese gezahlt). Humanität wäre so mit Füßen getreten.

Sinnvolle Wissenschaft aber besteht in der vornehmen Aufgabe, ihren Beitrag zur Erleichterung der Mühsal menschlicher Existenz zu leisten. Dazu gehört auch das Erkennen und Überwinden aller Ursachen, die umfassende Bildung derzeit noch zu einem Privileg machen. Nicht das Durchkämpfen in der Konkurrenz sondern die solidarische Überwindung ihrer Ursachen ist echte Lebensqualität. In diesem Sinne und zu diesem Zweck wäre Bildung jeder Art und zu jeder Zeit der Motor einer sozial verantwortlichen Handlungs- und Lebensweise.

Die Gebührenfreiheit jeglicher Bildung, die soziale Absicherung ihrer Subjekte und die bedarfsdeckende staatliche Finanzierung aller ihrer Institutionen, sind dafür notwendige Schritte.

„Wir wollen auf Erden glücklich sein,
Und wollen nicht mehr darben;
Verschlemmen soll nicht der faule Bauch,
Was fleißige Hände erwarben.

Es wächst hienieden Brot genug
Für alle Menschenkinder,
Auch Rosen und Myrten, Schönheit und Lust,
Und Zuckererbsen nicht minder.

Ja, Zuckererbsen für jedermann,
Sobald die Schoten platzen!
Den Himmel überlassen wir
Den Engeln und den Spatzen.“

Heinrich Heine, „Deutschland. Ein Wintermärchen“, Caput 1, 1848. html


3. Studiengebühren und die Zinsen

„Wer die Studiengebühr nicht aufbringen kann, erhält ein staatlich garantiertes Darlehen zu günstigen Konditionen und zahlt dieses erst zurück, wenn er oder sie genügend Geld verdient.“

Senatsbroschüre.

„Es ist alles still. Wie in einer verschneiten Winternacht. Nur ein leiser monotoner Tropfenfall. Das sind die Zinsen, die fortlaufend hinabträufeln in die Kapitalien, welche beständig anschwellen. Man hört ordentlich, wie sie wachsen die Reichtümer der Reichen. Dazwischen das leise Schluchzen der Armut. Manchmal auch klirrt etwas, wie ein Messer, das gewetzt wird.“

Heinrich Heine, „Lutetia“, Zweiter Teil, LII, 1855 (Paris, 4. Dezember 1842). html

Ehrlich verdient, mit Massenentlassungen und Lohndrückerei in all ihren Beteiligungen und Geschäften, hat beispielsweise die Deutsche Bank den Rekordgewinn des letzten Jahres aktuell noch mal um dreißig Prozent übertroffen. Davon sind allein 355 Millionen Euro ein neuerliches Steuergeschenk im letzten Viertel des Geschäftsjahres; insgesamt sechs Milliarden Euro reiner Gewinn. Das ist sechs mal der Betrag, der je Semester zusammenkäme, sollten bundesweit alle Studierenden Gebühren zahlen.

Der kapitalfromme Hamburger Senat möchte nun diesen Banken die „soziale Abfederung“ der Studiengebühren übertragen – welch ein Witz. Er eröffnet ihnen damit ein neues Klientel zum renditereichen Ausquetschen. Mit der Kreditanstalt für Wiederaufbau (KfW-Bank) hat „Wissenschaftsmanager“ Dräger ein Darlehensmodell vereinbart, nach dem – dank nahezu ungedeckelter Zinsen – aktuell bis zu 22.000 Euro an die Bank zurückzahlen soll, wer 7.000 Euro bei ihr leiht, um die Gebühren zu berappen. Für jeden Euro Gebühren, der von Studierenden an die Uni geht, zahlen diese zwei Euro Zinsen an die Bank. Ein Musterbeispiel konservativer „sozialer Gerechtigkeit“.

Damit läßt sich die „Lenkungsfunktion“ der Studiengebühren noch über das Studium hinaus verlängern. Denn wer hoch verschuldet aus der Hochschule kommt (abgesehen davon, daß schon die Aussicht auf eine solche Verschuldung sozial selektiv dabei wirkt, wer überhaupt reinkommt), soll nicht nur im Studium brav gelernt haben, womit er sich bestmöglich an seine späteren Herren verkaufen kann. Wer derart unter Druck steht, so das Kalkül, wird jede noch so menschenverachtende Tätigkeit annehmen. Er wird auch buckeln-beißen-lächeln, um jede noch so schlechte Stelle nicht zu verlieren und, um seinem Arbeit„geber“ prächtiger als andere gefallen zu können, auch das Schleifen sozialer Errungenschaften als Freiheit begreifen. Selbstverwertung als Persönlichkeitsprogrammatik im Kapitalismus.

Das bewußte Nein! zu dieser antisozialen Praxis ist der Ausgangspunkt für jede Verbesserung. Ausbeutung, Konkurrenz und das Lernen für den fremden Zweck sind nicht des Menschen Natur, lösen kein gesellschaftliches Problem, sind nicht freudvoll und auch nicht das Ende der Geschichte. Der Mensch macht seine Geschichte selbst. Solidarisch ist er Souverän. Der Boykott der Studiengebühren gehört dazu.


4. Studiengebühren und die bessere Verschlechterung der Studienbedingungen

„Die Gebühren kommen den Studierenden selbst zu Gute: Sie fließen vollständig an die Hochschulen und dürfen nur für Zwecke von Studium und Lehre ausgegeben werden – dies ist gesetzlich festgelegt. Die Freie und Hansestadt Hamburg trägt selbstverständlich nach wie vor den Löwenanteil der Studienkosten: Die Mehreinnahmen durch Gebühren bedeuten rund 8,5 Prozent mehr Mittel für die Hochschulen.
Mit diesem zusätzlichen Geld schaffen die Hochschulen bessere Studienbedingungen: Intensivere Betreuung (z.B. durch mehr Tutorien und kleinere Lerngruppen), eine bessere Infrastruktur (z. B. mit längeren Bibliotheksöffnungszeiten, mehr Büchern und mehr PC-Arbeitsplätzen) und eine verbesserte räumliche Ausstattung sollen zu einem schnelleren und erfolgreicheren Studium beitragen.“

Senatsbroschüre.

„Die Bildungsmisere in Deutschland wäre im Prinzip ganz einfach zu beheben: Die schon vor Jahrzehnten propagierten Reformen müssen umgesetzt werden. Und es muss zweitens Geld, viel Geld in die Bildung umgeleitet werden.“

Lucas Zeise, „Beifall für Horst Köhler - und mehr Geld für die Bildung“, Financial Times Deutschland vom 03.04.2007. html

Die öffentlichen Haushalte werden seit Jahren auf der politischen Linie kaputtgespart, die dem Staat einzig die „Kernaufgabe“ zuweist, die Infrastruktur, den Markt, die Regeln für die Geschäftemacherei zu organisieren. Diese Politik hat dazu geführt, daß die privaten Gewinne einer reichen Minderheit hochschnellen, während die Löhne des Großteils der Bevölkerung sinken. Zugleich wurden die Steuern auf Gewinneinkommen gesenkt, während die Steuern auf Lohneinkommen und Verbrauch erhöht wurden. Mit der daraus resultierenden öffentlichen Armut werden nun Studiengebühren begründet.

Die Sparpolitik wird absichtsvoll herbeigeführt, um die private Finanzierung eigentlich sozialstaatlicher Aufgaben zu legitimieren. Die private Finanzierung der Bildung, dient der „Lenkungsfunktion“. D.h. unter dem Druck, daß die private Investition sich rentieren möge, soll nur noch das geforscht, gelehrt und gelernt werden, was sich marktgeschmeidig verwerten läßt.

Die vom Senator angeführten Beispiele für die Verwendung der Studiengebühren sollen diese Lenkungsfunktion erhöhen:
Die hier gemeinte „intensivere Betreuung“ der Studierenden ist ebenso wünschenswert, wie sich die Insassen eines Gefängnisses eine intensivere Bewachung wünschen können. Bestandteil der Senatspolitik der drei Keulen ist die Einstellung geringer qualifizierten Personals zur Überwachung der Studierenden im verschulten Paukstudium. Wo Menschen Auswege suchen würden, wurde STiNE – angeschafft aus den Langzeitstudiengebühren – die kühle Kontrolle zugewiesen. Notwendig ist hingegen die Förderung kooperationsintensiver Lehr-Lern-Gemeinschaften und der Ausbau demokratischer Beteiligungsmöglichkeiten aller Universitätsmitglieder. Kooperation statt Betreuung – dafür darf es gerne auch mehr qualifizierte Stellen geben.

Weil die Studierenden nach dem Vollzeit-Bachelor-/Master-Studium unter den gegebenen Bedingungen auch noch arbeiten gehen müssen, sollen „längere Bibliotheksöffnungszeiten“ ermöglichen, daß der studentische Tag aus 24 Stunden malochen besteht.

Gegen mehr qualifizierte Lehrende und bessere Bibliotheksausstattung ist nichts einzuwenden. Bessere Studienbedingungen entstehen aber erst dann, wenn die soziale Hetze überwunden wird. Deshalb ist die bedarfsdeckende staatliche Finanzierung erforderlich. Der gesellschaftliche Reichtum dafür ist vorhanden. Er muß nur bei jenen geholt werden, die auf ihm hocken. Dafür gibt es Steuern. Der CDU-Senat kündigt hingegen die Fortsetzung der Sparpolitik an, so fordert Dräger nach der bereits erfolgten Streichung von 15% der Stellen eine weitere Kürzung von 15% im Personalbereich. Wer unter diesem Druck die Studiengebühren als Ausweg sieht, akzeptiert jedoch den prinzipiellen Rückzug des Staates aus der Finanzierung. Weiteren Kürzungen ist so keine Grenze gesetzt. Es gilt jedoch auch die Umkehrung: Wer für Gebührenfreiheit kämpft, wirkt für einen politischen Richtungswechsel und damit auch für den Ausbau der staatlichen Finanzierung.


5. Studiengebühren und Demokratie

Probier doch einmal folgendes: Geh in einen x-beliebigen Supermarkt. Dort verlangst Du den Marktleiter zu sprechen. Sehr bestimmt erklärst Du ihm, daß Du hier der Kunde bist (bekanntlich der König!) und er ohne Dich seinen Job nicht mehr hätte. Und weil dem so ist, machst Du ihn jetzt darauf aufmerksam, daß Dir das Angebot des Marktes nicht paßt: Viele Marken und Produkte, die Du gerade kaufen wolltest, seien nicht da, andere sollte er hurtig aus dem Programm nehmen – denn schließlich seiest Du Kunde und würdest bezahlen! Wenn der Marktleiter einen guten Tag hat, so wird er Dir dann erklären, dass Du so oft Kunde sein kannst wie Du willst, aber was es in diesem Markt zu kaufen gäbe, das bestimmt die Konzernleitung.

Was in einem Supermarkt nicht klappt und als Vorstellung ziemlich absurd daherkommt, versucht Wissenschaftssenator Dräger nichtsdestotrotz als Köder zu nutzen, um Studiengebühren doch noch den Studierenden schmackhaft zu machen: „Mit ihrem finanziellen Beitrag steigt auch der Einfluss der Studierenden an der Hochschule: wer einen Beitrag leistet, kann auch mehr Leistung verlangen.“ (Senatsbroschüre.)

Dreist verschweigt Dräger, dass er seit Anbeginn seiner Amtszeit an den Hochschulen die demokratischen Partizipationsmöglichkeiten aller Hochschulmitglieder in den Gremien der Akademischen Selbstverwaltung beschneidet. Die hierarchische Ordinarienuniversität wurde durch die Kämpfe der Studierendenbewegung der 1960er und 70er Jahre zu Gunsten der Gremienhochschule abgeschafft, in der alle hier Tätigen – Studierende, Angestellte und Lehrende – als Mitglieder an der Bestimmung von Inhalt und Ziel von Lehre und Forschung wirken. Auf dieser Grundlage entwickelten sich kritische Wissenschaften wie die Friedensforschung und die Sozialwissenschaften sowie kritische Lehrinhalte in anderen Fächern.

Diese kritische demokratische Substanz will Dräger durch den „Supermarkt Hochschule“, in dem Studierende zu Kunden degradiert werden sollen, zerstören. Statt gleichberchtigte Mitglieder zu sein, sollen sie der „Dienstleisterin“ Hochschule gegenüber treten, das Marktprinzip von Angebot und Nachfrage soll Inhalt und Ziel von Wissenschaft und Forschung bestimmen. Die Studierenden sollen sich die „Ware Bildung“ aus dem vorhandenen Angebot (das in den Grundlinien vom mehrheitlich aus Vertretern der Großunternehmen besetzten Hochschulrat bestimmt wird) kaufen und konsumieren.

Zusätzlich sollen die Studierenden durch den Druck der restriktiven Bachelor-Master-Studiengänge (mit STiNE in ein technisches Korsett gegossen) und Studiengebühren durch das Studium hetzen und dieses in kürzester Zeit hinter sich bringen. Bloß sollen sie sich keine Gedanken darüber machen, für wessen Vorteil sie eigentlich in Studium und Arbeit ihre Haut zu Markte tragen sollen. Muße und der gehobene Blick für das Engagement in der demokratischen Interessenvertretung und Selbstverwaltung sollen so unterbunden werden.

Der Kampf gegen Studiengebühren wird dann sinnvoll und erfolgreich geführt, wenn er einhergeht mit dem Kampf um die Demokratisierung der Hochschulen. Die allen Menschen verantwortliche Lösung gesellschaftlicher Probleme kann nur durch die kooperative Verfügung der Mitglieder der Hochschulen über Lehrinhalte und Forschungsvorhaben erfolgen. Dafür sind alle Entdemokratisierungen wie eben auch Studiengebühren zurückzuweisen. Die Gremien auf allen Ebenen müssen möglichst gleichberechtigt aus allen Mitgliedergruppen besetzt werden – die Erlangung des Konventes, also eines Uni-Parlamentes unter Einbeziehung von VS- und Personalratsvertretern, ist hierbei von besonderer Bedeutung. Die Institute, Departements etc. müssen wieder demokratisch besetzte Gremien haben. Die Uni-Leitung und Verwaltung müssen in ein kollegiales Gesamt eingebettet und der Hochschulrat zu einem beratenden Gremium werden, das sinnvoll aus Vertretern gesellschaftlicher Gruppen besetzt wird.


6. Gebührenboykott in Hamburg – ein Beitrag zu einem besseren Studium

Der Boykott als politisches Kampfmittel beruht im wesentlichen auf der kollektiven Verweigerung der Zahlung der allgemeinen Studiengebühren. Das solidarische Handeln ist dabei entscheidend gegen die drohende Vereinzelung, jeder möge für sich mit der zusätzlichen finanziellen Belastung und der ideologischen Knute zum braven, zügigen und entfremdeten Studium fertig werden.

Die erforderliche Solidarität wird für den Studiengebührenboykott mit der Einrichtung eines Treuhandkontos ermöglicht. Wer noch nicht von den allgemeinen Studiengebühren befreit wurde, überweist seine Studiengebühr (500 Euro) auf das extra zu diesem Zweck bei dem Rechtsanwalt Martin Klingner im Auftrag des „Verein zur Förderung eines gebührenfreien Studiums an der Universität Hamburg e.V.“ eingerichtete Treuhandkonto. Wer die Gebühren nicht auftreiben kann, kann seine Teilnahme durch schriftliche Vereinbarung mit dem Vereinsvorstand verbindlich erklären (siehe Fragen und Antworten). In dem Verein findet sich der erheblich erweiterte Kreis der am Boykott beteiligten Gruppen mit gesellschaftlichen Bündnispartnern zusammen. Auf den Überweisungsträgern sind unbedingt die Matrikelnummer und der Name einzutragen, die notwendigen Informationen und die Kontonummer findet Ihr auf den Überweisungsträgervordrucken oder im Internet unter: www.gebuehrenboykott.de/agb.html.

Beteiligen sich bis zum Stichtag (derzeit der 13.12.2007) einen Werktag vor Ende der Zahlfrist (derzeit Sonnabend, der 15.12.2007) für die allgemeinen Studiengebühren mindestens 9.000 Studierende (etwa ein Viertel der Studierenden der Uni HH) an der Aktion, so wird der Boykott wirksam: Das Geld wird nicht an die Uni überwiesen. Die Einzahlungen sollen frühzeitig erfolgen, um weiter Studierende zur Beteiligung zu ermuntern und damit sie bis zum Stichtag auf dem Treuhandkonto eingegangen sind. Durch den aufgeklärten Kampf von über 9.000 Studierenden entsteht eine politisch neue Situation und der politische Senat gerät unter einen Druck, den er bisher noch nicht gesehen hat. In dieser Lage können wir über die Medien und in der Öffentlichkeit darüber aufklären, warum Studiengebühren Teil der bekämpfenswerten, gegen die Bevölkerung gerichteten Senatspolitik sind. Sicher ist: Der Senat kann es sich nicht leisten, auf einen Schlag ein Viertel der künftigen Akademiker zu verlieren. Er ist also gezwungen, allen auch ohne die Zahlung der Gebühren das Studium zu ermöglichen.

Erreichen wir die Beteiligung von 9.000 nicht, wird das Geld zum Ende der Einzahlfrist vom Treuhandkonto unter Angabe der Matrikelnummern an die Uni überwiesen, alle die ihre allgemeinen Studiengebühren zuvor auf dem Treuhandkonto eingezahlt haben bleiben immatrikuliert und wir haben wichtige Erfahrungen für die nächste Runde gewonnen. Es gilt: Wer kämpft, kann nicht verlieren, aber sehr viel gewinnen.

Die Studiengebühren des Wintersemesters 2007 werden für alle einheitlich erst zum 15. Dezember 2007 fällig und können somit gemeinsam boykottiert werden. Alle Studierenden, die schon einen Gebührenbescheid erhalten haben, hatten bis zum 30.09.2007 Gelegenheit, Anträge zur Befreiung von den Gebühren zu stellen. Viele Befreiungsgründe müssen jedoch noch durch politische Kämpfe und juristische Auseinandersetzungen erstritten werden. Jedoch befreit nur ein erfolgreicher Boykott wirklich alle Studierenden von den Gebühren.

Erstveröffentlichung 25.04.2007, redaktionell überarbeitet am 29.09.2007 für den Boykott zum Wintersemester 2007/2008

http://www.fsrk.de/artikel_31.html [Stand 29. September 2007]


Studiengebührenboykott in Hamburg – ein Beitrag zu einem besseren Studium