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FSRK

Normative Biederkeit hat eine prinzipielle Alternative: Emanzipation!

„Die Ethik des studentischen Lebens […] Entlassen aus den engen Schranken der Jugend, der Erziehung und der Aufsicht des Elternhauses und der Schule, der mahnenden Gegenwart geliebter Menschen und ungewollt erzieherischer Einwirkung der Schulgenossen, befreit von der regelmäßig zugeteilten Arbeit, fällt dem Studenten an deutschen Hochschulen ein ungewöhnliches Maß von Freiheit zu. Freizügigkeit von Hochschule zu Hochschule, die Möglichkeit, das gewählte Fachstudium zu wechseln, weitgehende Freiheit in der Wahl der Vorlesungen und Übungen, ein Lehr- und Lernsystem, dass bis zu den Prüfungen im allgemeinen keine Überwachung des Studenten und seiner Arbeit zuläßt, das sind die Hauptzüge der deutschen akademischen Freiheit, die das studentische Leben so ungebunden macht, so losgelöst von aller bürgerlichen Enge. […]“
Walter A. Berendsohn, Hamburger Universitätszeitung, April 1919.

Die Gründung der Universität Hamburg war eine Folge der demokratischen und sozialen Umwälzung von 1918/19. Die selbst-bewußte „Ungebundenheit“ des Studiums sollte bis heute ein Ausdruck ihres humanistischen und sozialen Gründungsauftrages sein.

Die heutige exklusive Festlichkeit für StudienanfängerInnen (mit „Begleitung“) im Audimax steht dazu im Gegensatz. Mit dieser Inszenierung will die stramm konservative, instinktiv autoritäre und Studiengebühren befürwortende Unipräsidentin Monika Auweter-Kurtz ihr biederes Weltbild etablieren: Mensch und Wissenschaft seien für die (deutsche) Wirtschaft da. In dieser Ordnung soll sich jeder emsig seinen Platz verdienen. „Leistung“, Bravheit und permanente Kontrolle seien dafür Pflicht. (Selbst ist sie als Ingenieurin von rüstungsrelevanten Raketenantrieben dieser Maßgabe stets treu gefolgt.)

Da sie an der Universität der Unterstützung entbehrt, hat sie sich als „Festredner“ Gunnar Uldall (CDU) eingeladen. Er war als Wirtschaftssenator (unter Ole von Beust und mit Ronald B. Schill) für die Privatisierung der Landeskrankenhäuser mitverantwortlich. Heute ist er Lobbyist der nicht-öffentlichen postzustellenden Unternehmen und wirkt verbissen gegen die Einführung von Mindestlöhnen und für mehr Privatisierungen und Konkurrenz.

Beide sind sehr konform und gehen der Geschichte und dem progressiven Potential der Universität Hamburg gegen den Strich: Das Audimax selbst ist nach der Befreiung vom Faschismus in den 1950er Jahren als ein architektonisches Symbol der demokratischen Öffnung der Universität zur Gesellschaft errichtet worden. Es war überfüllt, als Carl Friedrich von Weizsäcker mit philosophisch-naturwissenschaftlichen Vorlesungen gegen die atomare Aufrüstung sprach; hier wurden in den 1960er und 1970er Jahren mit tausenden TeilnehmerInnen studentische Aufklärungsaktivitäten breit diskutiert. Hier haben AStA-Vertreter bei der Rektoratsübergabe am 9. November 1967 das Transparent „Unter den Talaren/der Muff von 1000 Jahren“ entfaltet, um auf die bedrängende Kontinuität in Wirtschaft, Politik und Wissenschaft nach dem Faschismus aufmerksam zu machen und eine wirkliche Demokratisierung einzufordern. Das Audimax war der Ort, an dem der erste nicht professorale Hochschulpräsident der Bundesrepublik öffentlich gewählt wurde; hier wird mit einer Plakette des Hamburger Zweigs der „Weißen Rose“, also dem studentischen Widerstand gegen den Faschismus gedacht; hier diskutierten die ausgesperrten Mitglieder des Spiegel-Verlages während der sogenannten „Spiegel- Affäre“ über die Gegenwehr gegen die Einschränkungen der Pressefreiheit durch Franz-Josef Strauß, hier haben kritische Liedermacher bewegend für Freiheit und Gleichheit, gegen Hetze und Biederkeit gesungen. Hier wurde auf Einladung von Studierenden und eines anderen Unipräsidums kritisch der Angriffskrieg gegen Jugoslawien diskutiert. Hier haben die Aktivitäten für Gebührenfreiheit mit Vollversammlungen und Diskussionen ihren öffentlichen Ursprung in friedensbewegter, antifaschistischer und emanzipativer Tradition.

An diese bewegende Geschichte gilt es anzuknüpfen. So kann und sollte gemeinschaftlich für die soziale Öffnung und Demokratisierung der Hochschulen, für den kritischen Gesellschaftsbezug der Wissenschaften zur Beendigung von sozialer und kultureller Armut, Unterentwicklung, Unterdrückung und Krieg gestritten werden. Die Drohung, wer sich klein mache und brav verhalte, habe nichts zu befürchten, ist ein Betrug um die Substanz menschlichen Lernens: Die solidarische Emanzipation von allen Übeln ist die vernünftige Alternative.

http://www.fsrk.de/artikel_104.html [Stand 14. Oktober 2008]